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Les élections législatives du 26 septembre 2021 en Allemagne fédérale

Merkels Europapolitik oder der Preis des Pragmatismus

Ulrike Guérot et Julian Plottka
p. 131-151

Résumés

La politique européenne allemande sous le gouvernement d’Angela Merkel était caractérisée par une « normalisation ». Elle était moins fondée sur des lignes directrices que façonnée par le pragmatisme. Au contraire, la soi-disant « méthode de l’Union » d’intergouvernementalisation de l’UE était une ligne directrice suivie par Merkel. Une explication plus convaincante est la thèse de Schimmelfennig sur le “pouvoir du statu quo” selon laquelle le gouvernement fédéral n’a soutenu aucune réforme fondamentale de l’UE dans l’intérêt économique allemand, mais a voulu préserver le statu quo. En s’appuyant sur les exemples des négociations sur le traité de Lisbonne, de la politique allemande dans la crise de la zone euro, de la volonté de l’Allemagne d’assumer davantage de responsabilités en matière de politique étrangère et de l’Allemagne faisant cavalier seul en suspendant la procédure de Dublin pour les réfugiés syriens, l’article montre qu’en plus des intérêts économiques, la concurrence entre les partis politiques a également acquis une influence croissante sur la politique européenne allemande et explique en partie les actions du gouvernement fédéral. De plus, l’article souligne que l’effet de la politique européenne allemande en termes de politisation horizontale des débats politiques européens dans d’autres États membres et les conséquences de cette politisation sur le champ d’action de l’UE nécessitent une enquête plus approfondie.

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Texte intégral

1. Einleitung: die Politik der kleinen Schritte

  • 1  Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, Plenarprotokoll 16/4, 30.11.2005, S. 87 A-B.
  • 2  Wilhelm Knelangen, „Eine neue deutsche Europapolitik für eine andere EU?“, Aus Politik und Zeitges (...)
  • 3  Frank Schimmelfennig, „Deutschland in der Europäischen Union: Hegemonie, Intergouvernementalismus, (...)
  • 4  So produzierte die nordrheinwestfälische CDU für den Europawahlkampf 2019 unter dem Titel „Wir sin (...)

1„Viele werden sagen: Diese Koalition, die geht ja viele kleine Schritte und nicht den einen großen. Ich erwidere ihnen: Ja, genau so machen wir das“1. Mit diesen Worten charakterisierte Angela Merkel ihren Regierungsstil anlässlich ihrer ersten Regierungserklärung im November 2005. Dieser – in der Europapolitik als Normalisierung interpretierten2 – Abkehr von Programmatik zugunsten eines pragmatischen Politikansatzes ist sie in allen vier Amtszeiten treu geblieben. Merkel hat nie eine europapolitische Vision zur Zukunft der Europäischen Union (EU) vorgelegt. So schließt Schimmelfennig, dass heute in der deutschen Europapolitik „Ideen keine systematische Rolle [spielen]: Weder motivieren sie die deutsche Politik zur Integration, noch schränken sie die Bundesregierung darin ein“3. Ob diese These auch für die Zukunft gilt, ist eine offene Frage, denn in Merkels Amtszeit wurde die „Christlich Demokratische Union Deutschlands“ (CDU), die ehemalige „Europapartei“4 Konrad Adenauers, in der europapolitischen Programmatik von „Bündnis 90/Die Grünen“ und der „Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“ (SPD) überholt und entwickelte sich zusammen mit ihrer Schwesterpartei, der Christlich-Sozialen Union in Bayern (CSU), zur europapolitischen Bremse in der Amtszeit Merkels.

  • 5  Daniel Göler, Mathias Jopp, „Deutschlands konstitutionelle Europapolitik“, in: Böttger/Jopp (Hg.), (...)
  • 6  Ebd., S. 67-69.
  • 7  Julia Klein, Julian Plottka, Amelie Tittel, „Der Neustart der europäischen Integration durch eine (...)
  • 8  Während die Ursachen der Eurosklerose damals hauptsächlich wirtschaftlicher Natur waren, ist der h (...)

2Aus Perspektive der konstitutionellen Europapolitik5 lässt sich für die Fortentwicklung des europäischen Integrationsprojekts konstatieren, dass es seit den 1970er Jahren keine so lange Phase ohne Vertragsreform gab wie die Amtszeit Merkels. Es war zwar maßgeblich ihr Verdienst6, dass der Vertrag von Lissabon in Kraft treten konnte, die Inhalte, bei denen die Staats- und Regierungschefs den Skeptiker:innen des Vertrags über eine Verfassung für Europa (Verfassungsvertrages) ein stückweit entgegenkamen, waren jedoch vor ihrer Amtszeit ausgearbeitet worden. Danach beschränkten sich Reformen auf situatives Krisenmanagement und blieben in vielen Bereichen unvollendet. Die fehlende Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion, die vollständige Blockade der Europäischen Asyl- und Migrationspolitik, die Frage nach einem eigenständigen europäischen Beitrag in der Außen- und Sicherheitspolitik7 sind nur eine Auswahl der Politikbereiche, in denen der Reformdruck stetig wächst. Am Ende der Regierungszeit Merkels scheint der Reformstau in der EU größer als am Ende der Eurosklerose in den 1980er8. Damals entlud sich dieser im Binnenmarktprogramm und letztlich der Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion im Vertrag von Maastricht. Ob gegenwärtig eine Überwindung des Reformstaus möglich ist, ist mehr als fraglich.

  • 9  Weitere Gründe sind zweifelsohne grundlegend andere Rahmenbedingungen, unter denen am Beginn der z (...)
  • 10  Stefan Kornelius, „Deutschland und die Euro-Krise. Hegemon wider Willen“, Süddeutsche Zeitung, 28. (...)
  • 11  „Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zur Eröffnung des 61. akademischen Jahres des Europako (...)

3Grund dafür ist eine veränderte europapolitische Rolle Deutschlands, die Merkel maßgeblich mitgeprägt hat9. Auch hier ist sie ihrer Politik der kleinen Schritte treu geblieben und die deutschen Bundesregierungen haben in den letzten 16 Jahren deutsche Interessen schrittweise durchgesetzt, statt große Schritte zu wagen. Inwieweit diese Europapolitik den definitorischen Kriterien eines Hegemons entspricht, ist Gegenstand einer ausführlichen akademischen Debatte10, aber letztlich nicht entscheidend. Entscheidend ist der weitgehend unstrittige Befund, dass Merkels Europapolitik stärker als die jeder vorhergehenden Bundesregierung von deutschen Interessen geleitet war. Die Intergouvernementalisierung der EU, die dies erst ermöglichte, hat Merkel unter dem Schlagwort der „Unionsmethode“11 zu ihrem europapolitischen Ansatz erklärt.

4Dabei erfolgte die Durchsetzung deutscher Interessen nicht allein auf dem Feld klassischer Europapolitik. Die Interdependenzen zwischen den EU-Mitgliedstaaten sind inzwischen so stark, dass auch innenpolitische Entscheidungen der deutschen Bundesregierung Rückwirkungen auf andere Mitgliedstaaten der EU haben. Hier findet sich in der Amtszeit Merkels mit dem Atom-Ausstieg, der Aussetzung des Dublin-Systems für syrische Flüchtlinge und dem Bau der Pipeline „Nord Stream 2“ eine Reihe von Beispielen, in denen deutsche Bundesregierungen Entscheidungen trafen, ohne ihre europäischen Partner zu konsultieren. Dies ebenso wie die „klassische“ deutsche Europapolitik hat die Wahrnehmung Deutschlands in den Augen der anderen europäischen Regierungen und – wichtiger noch – in den Augen der Bürger:innen anderer Mitgliedstaaten verändert.

  • 12  Obgleich die französischen und südeuropäischen Reaktionen auf die deutsche Dominanz vor allem in d (...)
  • 13  Radosław Sikorski, zitiert nach: Thomas Paulsen, „Keine Angst vor Deutschland“, Neue Zürcher Zeitu (...)

5Damit ist nicht gesagt, dass die deutsche Politik unisono Gegenreaktionen hervorgerufen und Konflikte provoziert hat12. Die ambivalenten Einstellungen gegenüber deutscher Führung sind wohl am besten in dem Bonmot des früheren polnischen Außenministers Radosław Sikorski auf den Punkt gebracht: „Ich habe weniger Angst vor deutscher Macht, als ich anfange, mich vor deutscher Inaktivität zu fürchten“13. Der Wirkung deutscher Europapolitik auf andere Mitgliedstaaten und ihre Bürger:innen hat Merkel jedoch kaum Beachtung geschenkt. Dabei hat die Bundesregierung auf diese Weise nicht nur die Konstellationen veränderten, unter denen sie mit den anderen Regierungen in Brüssel verhandelte, sondern die Perspektive vieler Unionsbürger:innen auf die EU beeinflusst.

  • 14  F. Schimmelfennig, „Deutschland in der Europäischen Union“ (Anm. 3), S. 561ff.

6Einen theoretischen Ausgangspunkt für eine solche Analyse bietet die These Deutschlands als „Status-quo-Macht“14, die die deutsche Europapolitik als Funktion nationaler, vornehmlich wirtschaftliche Präferenzen begreift. Jedoch schlagen wir im Abschnitt 2 vor, die These um weitere Faktoren zu ergänzen. Diese Erweiterung bildet den Rahmen für die Analyse des deutschen Beitrags zur Rettung des Verfassungsvertrags (Abschnitt 3), zur deutschen Politik in der Krise in der Eurozone (Abschnitt 4), der kurzen deutschen Bereitschaft, (theoretisch) außenpolitische Verantwortung zu übernehmen (Abschnitt 5) und der deutschen Entscheidung, die Anwendung des Dublin-Verfahrens auszusetzen (Abschnitt 6). Diese Gliederung ermöglicht Schlagschlichter auf die wichtigsten europapolitischen Verschiebungen in der Regierungszeit von Angela Merkel, kann aber angesichts der Fülle europapolitischer Belange doch nur einen Ausschnitt abbilden. Die exemplarische Auswahl der Fallbeispiele ist jedoch so gewählt, dass diese grundlegende Veränderungen in der deutschen Europapolitik illustrieren. Eine systematischere und umfassendere Analyse muss an anderer Stelle erfolgen.

2. Theoretischer Rahmen

  • 15  Adrian Hyde-Price, Charlie Jeffery, „Germany in the European Union: Constructing Normality“, Journ (...)
  • 16  F. Schimmelfennig, „Deutschland in der Europäischen Union“ (Anm. 3), S. 561ff.
  • 17  Wendler charakterisiert diesen anhand von fünf Merkmalen: (1) eine große Bereitschaft zur Abgabe n (...)

7Seit der Wiedervereinigung ist die wissenschaftliche Debatte zur deutschen Europapolitik von der Frage geprägt, inwieweit diese (weiterhin) von Normen geleitet ist15 oder inwieweit die rationale Vertretung deutscher Interessen (inzwischen) der stärkere Erklärungsfaktor ist16. Dabei gehen sowohl konstruktivistische als auch rationalistische Ansätze von einer „Normalisierung“ und Abkehr vom früheren deutschen Exzeptionalismus in der Europapolitik17 aus.

  • 18  Daniel Göler, Mathias Jopp, „Deutschlands konstitutionelle Europapolitik: Auswirkungen veränderter (...)
  • 19  Leitbilder werden dabei zugleich als Zielvorstellungen eines wünschenswerten, künftigen Zustands e (...)
  • 20  Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, Plenarprotokoll 11/228, 04.10.1990, S. 18020 A.
  • 21  Ulrike Kessler, „Deutsche Europapolitik unter Helmut Kohl: Europäische Integration als ‚kategorisc (...)
  • 22  „Eröffnungsrede des 61. Akademischen Jahres des Europakollegs Brügge“ (Anm. 11).

8Die Annahme, deutsche Europapolitik orientiere sich an Leitbildern, hat einen eigenen Forschungsstrang hervorgebracht18, der weiterhin beansprucht, deutsche Europapolitik auch seit 2005 erklären zu können19. Während für Merkels christdemokratischen Vorgänger, Helmut Kohl, die „Vereinigten Staaten von Europa“20 noch Leitbild deutscher Europapolitik waren und die europäische Integration einen „kategorischen Imperativ“21 seiner Amtszeit bildete, hat es Merkel unterlassen, ein in die zukunftsweisendes Leitbild ihrer Europapolitik zu skizzieren. In wieweit ihre einzige grundlegende europapolitische Rede von 2010, in der sie ihr Verständnis von Europa auf den Begriff der Unionsmethode brachte22, ihre (intergouvernemental geprägten) „Wahrnehmungs- und Deutungsmuster“ europäischer Politik offenlegte, werden wir noch erörtern.

  • 23  F. Schimmelfennig, „Deutschland in der Europäischen Union“ (Anm. 3), S. 561ff.
  • 24  Andrew Moravcsik, Frank Schimmelfennig, „Liberal Intergouvernmentalism“, in: Antje Wiener, Tanja A (...)
  • 25  F. Schimmelfennig, „Deutschland in der Europäischen Union“ (Anm. 3), S. 567.

9Die Gegenhypothese zur fortbestehenden Wirkmächtigkeit von Leitbildern in der deutschen Europapolitik bildet die Annahme, dass die deutsche Bundesregierung in zunehmendem Maße deutsche Interessen in der Europapolitik vertritt. Gerade mit Blick auf das deutsche Handeln zur Bewältigung der Krise in der Eurozone intensivierte sich die Debatte über eine hegemoniale Stellung Deutschlands als mächtigstem Mitgliedstaat in der EU. Die aktuellste Analyse deutscher Europapolitik in dieser Perspektive hat Schimmelfennig mit der These von der „Status-quo-Macht“ vorgelegt23. Aufbauend auf der Theorie des Liberalen Intergouvernementalismus24 geht er davon aus, dass die Bundesregierung als rationalistischer Nutzenmaximierer eine Vertiefung der europäischen Integration in Verhandlungen mit anderen mitgliedstaatlichen Regierungen unterstützt, wenn dies den politischen und wirtschaftlichen Interessen Deutschlands entspricht25. Als Status-quo-Macht bezeichnet Schimmelfennig einen Staat, der vom gegenwärtigen Stand der Integration profitiert, dessen Kosten-Nutzen-Bilanz sich durch weitere Integrationsschritte verschlechtern würde und auf dessen Kooperation andere Staaten zur gemeinsamen Bewältigung ihrer Probleme aber nicht verzichten können. Dieses Modell bietet einen überzeugenden Ansatz zur Erklärung deutscher Europapolitik in der Regierungszeit Merkels. Allerdings schlagen wir drei Erweiterungen vor:

  • 26  Ebd.
  • 27  Andrew Moravcsik, „Preferences, Power and Institutions in 21st-Century Europe“, Journal of Common (...)
  • 28  Liesbet Hooghe, Gary Marks, „A Postfunctionalist Theory of European Integration: From Permissive C (...)
  • 29  A. Moravcsik, „Preferences, Power and Institutions“ (Anm. 27), S. 1652.

10Erstens: Für die Krise in der Eurozone legt Schimmelfennig dar, dass ökonomische Interessen eine dominierende Rolle bei der innerstaatlichen Präferenzbildung spielen26. Angesichts der Etablierung der „Alternative für Deutschland“ (AfD) als euro-(pa-)skeptischer Partei im deutschen Parteiensystem und der politisierten Auseinandersetzung um die Maßnahmen zur Bewältigung der Krise in der Eurozone sowie mehr noch den politischen Debatten in den folgenden Krisen stellt sich jedoch die Frage, ob die innerdeutsche Auseinandersetzung um Europapolitik allein mit (ökonomischen) Interessen erklärt werden kann. Zwar geht Moravcsik davon aus, dass „salient and concrete policy demands encourage substantive policy change, whereas diffuse or symbolic identity-based demands from voters encourage superficial, rhetorical and formalistic changes“27. Hooghe und Marks weisen jedoch darauf hin, dass auch Identitätsfragen eine zentrale Rolle für die europapolitische Präferenzbildung auf nationaler Ebene spielen, wenn Parteien versuchen, europaskeptische Einstellungen wahlstrategisch für sich zu nutzen28. Damit können auch „identy-based demands“29 entscheidend für die Wiederwahl einer Regierung werden.

  • 30  A. Moravcsik, „Preferences and Power in the European Community: A Liberal Intergouvernmentalist Ap (...)
  • 31  Ebd.
  • 32  A. Moravcsik, „Preferences, Power and Institutions“ (Anm. 27), S. 1652.
  • 33  Zur Politisierung nicht-ökonomischer Themen siehe: Swen Hutter, Argyrios Altiparmakis, Guillem Vid (...)
  • 34  Thomas Risse, „Introduction“, in: ders. (Hg.), European Public Spheres. Politics is back, Cambridg (...)
  • 35  Edgar Grande, Hanspeter Kriesi, „Die Eurokrise: Ein Quantensprung in der Politisierung des europäi (...)
  • 36  Ebd., S. 502.

11Zweitens hinterfragen wir, inwieweit die europapolitische Präferenzbildung auf mitgliedstaatlicher Ebene in von einander abgeschotteten nationalstaatlichen Containern stattfindet. Moravcsik selbst verweist darauf, dass sowohl nationale als auch transnationale Zivilgesellschaft an der mitgliedstaatlichen Präferenzbildung teilhat30. Selbst die Identität, Interessen und Einflusschancen nationaler Akteure würden von Faktoren beeinflusst, die sowohl „domestic“ als auch „transnational“ sind31. Wenn die innerstaatliche Präferenzbildung nicht (mehr) allein durch wirtschaftliche Interessen bestimmt wird, sondern auch „identy-based demands“32 relevant sind, ist es mehr als wahrscheinlich33, dass auch in Identitätsfragen grenzüberschreitende Interdependenzen bestehen und die nationale Interessenaggregation in der Europapolitik beeinflussen. Für die Krise in der Eurozone stellt Risse fest: „The domestic has become European, and European politics has become an integral part of domestic politics“34. Wenn die deutsche Bundeskanzlerin in der Krise zur Eurorettung sprach, wurde sie nicht nur in Deutschland gehört, sondern auch in Griechenland und anderen Mitgliedstaaten. Grande und Kriesi konstatieren „eine außergewöhnliche starke horizontale Dimension“35 der Europäisierung politischer Debatten in der Krise in der Eurozone „bei der Akteure kommunikative Bezüge zwischen verschiedenen Ländern herstellen oder sich sogar an politischen Debatten in einem anderen Land beteiligen“36.

  • 37  Hooghe/Marks, „A Postfunctionalist Theory of European Integration“ (Anm. 28), S. 21-22.
  • 38  Robert D. Putnam, „Diplomacy and Domestic Politics: The Logic of Two-Level Games“, International O (...)
  • 39  Edgar Grande, Hanspeter Kriesi, „The restructuring of political conflict in Europe and the politic (...)
  • 40  Swen Hutter, Hanspeter Kriesi, „Politicising immigration in times of crisis“, Journal of Ethnic an (...)

12Drittens nehmen wir mit Hooghes und Marks These vom „constraining dissensus“ an, dass die Politisierung der Europapolitik auf der nationalen Ebene eine Begrenzung des Verhandlungsspielraums der jeweiligen Regierung auf der europäischen Ebene zur Folge hat37. Bereits Putnam wies darauf hin, dass die Größe des „win-sets“ möglicher Kompromisse auf der internationalen bzw. hier der EU-Ebene eine Funktion der Machtverteilung, Präferenzen und möglichen Koalitionen der „constituents“ auf der nationalen Ebene ist38. Stärkt die Politisierung europapolitischer Debatten in der horizontalen Dimension nun nicht die Parteien und zivilgesellschaftlichen Akteure am kosmopolitischen Pol des politischen Spektrums, wie Untersuchungen zu den Krisen in der Eurozone39 und im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS)40 zeigen, trägt die horizontale Politisierung zur Begrenzung der europapolitischen Handlungsfähigkeit der nationalen Regierungen bei. Die Frage ist also, ob das Handeln der deutschen Bundesregierung die Einstellung zu Europa in anderen Mitgliedstaaten beeinflusst und so ggf. den europapolitischen Handlungsspielraum der deutschen Bundesregierung einengt.

3. Eine Vertragsreform ist genug

  • 41  Göler/Jopp, „Deutschlands konstitutionelle Europapolitik“ (Anm. 5), S. 55ff., hier: S. 67.
  • 42  Wolf J. Schünemann, In Vielfalt verneint. Referenden in und über Europa von Maastricht bis Brexit, (...)
  • 43  Ebd., S. 106-113.
  • 44  Andreas Maurer, Daniela Schwarzer, „Alle Karten auf den Tisch! Ansätze zur Überwindung der konstit (...)
  • 45  Ebd., S. 2.
  • 46  Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, Plenarprotokoll 16/4, 30.11.2005, S. 88 D.
  • 47  Gisela Müller-Brandeck-Bocquet, „Deutsche Europapolitik in der Ära Angela Merkel 2005-2021: Enge G (...)
  • 48  Gisela Müller-Brandeck-Bocquet, „Frankreich: zurück in Europa, aber mit welchem Kurs?“, Aus Politi (...)
  • 49  Joachim Schild, „Pariser Pragmatismus – Französische EU-Vertragsreformpolitik von Amsterdam bis Li (...)
  • 50  Die nach dem niederländischen Referendum neu ins Amt gekommene Regierung der Niederlande positioni (...)
  • 51  Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, Plenarprotokoll 11/228, 04.10.1990, S. 18020 A.

13Die deutsche Europapolitik in der ersten Amtszeit Merkels von 2005 bis 2009, in der sie mit einer Großen Koalition aus CDU, SPD und CSU regierte, scheint auf den ersten Blick die zuvor formulierten Thesen zur „Normalisierung“ einer nun von Interessen geleiteten deutschen Europapolitik zu widerlegen. Als „Glanzleistung“ dieser Amtszeit gilt der deutsche Beitrag zur Rettung der Inhalte des Verfassungsvertrags in Form des Vertrags von Lissabon41. Nach einem „non“ und einem „nej“ in zwei Referenden zur Ratifikation des Vertragsvertrags in Frankreich42 und den Niederlanden43 im Frühsommer 2005 legte die EU eine sog. Denkpause ein44, bevor entschieden wurde, wie mit dem Vertrag weiterverfahren werden sollte. Die Vorschläge reichten dabei von der Fortsetzung des Ratifikationsprozesses bis zu einer Rückkehr zum geltenden Vertrag von Nizza, ergänzt um kleinere Reformen45. Merkel bekannte gleich in ihrer ersten Regierungserklärung: „Wir wollen den Verfassungsvertrag, auch wenn das heute zum Teil illusorisch erscheint, zu einem Erfolg machen. Ohne ein eigenes Selbstverständnis ist Europa nicht möglich“46. Auch ihre anfängliche Ablehnung von Nicolas Sarkozys Vorschlag47, in einem „traité simplifié“48 die Substanz des Verfassungsvertrages zu übernehmen49, die Verfassung selbst aber aufzugeben50, schien eher in der Tradition einer leitbildorientierten deutschen Europapolitik zu stehen, die mit dem Verfassungsvertrag eben einen guten Schritt in Richtung der früheren europapolitischen Zielsetzung der CDU, den „Vereinigte[n] Staaten von Europa“51 vorangekommen wäre.

  • 52  Maurer und Kietz nennen hier Zugeständnisse an Polen bei den Verhandlungen mit Russland über ein P (...)

14So stellte auch die deutsche Ratspräsidentschaft im Jahr 2007 (noch) keinen Paradigmenwechsel deutscher Europapolitik dar, sondern die Bundesregierung fungierte als ehrlicher Makler, der weiterhin bereit war, in Paketlösungen anderen Ländern Zugeständnisse zu machen52, um so die Rettung des Verfassungsvertrages zu ermöglichen. Die Kontinuitätslinien zum deutschen Exzeptionalismus in der Europapolitik waren noch deutlich.

  • 53  Göler/Jopp, „Deutschlands konstitutionelle Europapolitik“ (Anm. 5), S. 68.

15Gleichzeitig waren in der ersten Amtszeit Merkels bereits Anzeichen sichtbar, die ein Voranschreiten eines Paradigmenwechsels und eine Fortsetzung des Bruchs mit dem deutschen Exzeptionalismus andeuteten. Ein erstes Merkmal der deutschen Bemühungen zur Rettung des Verfassungsvertrages war die Abkehr von der Konventsmethode53 und eine Rückkehr zu zwischenstaatlichen Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

  • 54  Kietz/Maurer, „Bilanz und Zukunft der Präsidentschaft“ (Anm. 52), S. 28-29.
  • 55  Andreas Maurer, „Verhandlungen zum Reformvertrag unter deutschem Vorsitz“, Aus Politik und Zeitges (...)
  • 56  Ebd., S. 6-7.

16Erstens wurden nicht nur die Verhandlungen über das Verfassungsprojekt, sondern über die meisten Dossiers der Ratspräsidentschaft auf bilateraler Ebene zwischen „Berlin“ und den anderen Hauptstädten geführt und in den formellen Gremien erst aufgenommen, wenn sich bereits eine Kompromisslinie abzeichnete54. Zweitens wurden die Forderungen der Mitgliedstaaten bezüglich der Fortsetzung des Verfassungsprozesses klar priorisiert. Oberste Priorität hatten die Forderungen der französischen und niederländischen Regierungen, die das „Nein“ ihrer Bürger:innen in ein „Ja“ verwandeln mussten. Zweite Priorität wurde den Anliegen der Staaten zugemessen, die den Verfassungsvertrag noch nicht ratifiziert hatten, und nachrangig wurden die Anliegen der „Freunde der Verfassung“ behandelt, die bereits ratifiziert hatten55. Drittens wurden die Außenministerien, die bisher alle europäischen Verträge verhandelt hatten, von den Verhandlungen ausgeschlossen und die Konsultationen fanden unter höchster Geheimhaltung allein zwischen den Regierungszentralen statt56.

  • 57  G. Müller-Brandeck-Bocquet, „Deutsche Europapolitik in der Ära Angela Merkel“ (Anm. 47), S. 264-26 (...)
  • 58  A. Maurer, „Verhandlungen zum Reformvertrag unter deutschem Vorsitz“ (Anm. 55), S. 8.

17So endete die deutsche Ratspräsidentschaft mit der Verabschiedung eines „Mandats für die Regierungskonferenz“ zur Ausarbeitung eines „Reformvertrags“, der „keinen Verfassungscharakter“ haben sollte. Die letzten strittigen Punkte, insbesondere der polnische Widerstand gegen die Einführung der doppelten Mehrheit, wurden erst auf dem Europäischen Rat am 21. und 22. Juni 2007 geklärt57. Das verabschiedete Mandat war dabei sehr viel detaillierter als es bisher in der Geschichte der europäischen Integration der Fall gewesen war58. Der Europäische Rat schrieb den Außenministerien quasi vor, was sie zu verhandeln hatten.

4. Deutschland betreibt die fiskalpolitische Spaltung Europas

18Aus der Perspektive des Jahres 2022 erscheint dieses Vorgehen der deutschen Ratspräsidentschaft im Jahr 2007 als Blaupause für das spätere Krisenmanagement der Kanzlerin: Die Auslagerung von Entscheidungen aus den formellen Gremien und Verfahren, die Konzentration der Entscheidungsbefugnis in den Regierungszentralen und Detailregelungen des Europäischen Rates, die über eine Leitlinienkompetenz weit hinausreichen, sollten wiederkehrende Merkmale der Intergouvernementalisierung der Europapolitik in der Amtszeit Merkels werden.

  • 59  André Schmidt, „Die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 – die erste Bewährungsprobe für die Europ (...)

19Ganz besonders trat dies während der politischen Bewältigung der Krise in der Eurozone in den Jahren 2010 bis 2015 zutage. In die erste Amtszeit Merkels bis Herbst 2009 fiel mit der globalen Finanzkrise die erste Krisenphase, die durch Maßnahmen der Europäischen Zentralbank und nationale Rettungs- und Konjunkturpakete geprägt war. Eine Koordinierung auf EU-Ebene und die Einbeziehung der Europäischen Kommission fand erst spät statt59. Die zweite Phase der Krise leitete die 2009 ebenfalls neu gewählte griechische Regierung nur acht Tage vor der Vereidigung der zweiten Regierung Merkel mit der Bekanntgabe eines drastisch nach oben korrigierten Staatsdefizits ein. In der Folge war die Arbeit der zweiten nun konservativ-liberalen Regierung Merkel maßgeblich von den Maßnahmen zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise in der Eurozone dominiert. Das Krisenmanagement sollte sich bis in die dritte Regierung Merkel fortsetzen, die nach dem Verlust aller liberalen Parlamentsmandate ab Dezember 2013 wieder eine Große Koalition aus CDU, SPD und CSU war.

  • 60  Markus Feldenkirchen et al., „Madame No“, Der Spiegel, 30.11.2008.
  • 61  Wolfram Hilz, „Getriebewechsel im europäischen Motor: Von ‚Mercozy‘ zu ‚Merkollande‘?“, Aus Politi (...)
  • 62  Nicolas Sarkozy, zitiert nach: M. Feldenkirchen et al., „Madame No“ (Anm. 60).
  • 63  Für eine umfassende ökonomische Analyse, wie sehr Deutschland an Binnenmarkt und Euro-Krise „verdi (...)
  • 64  Prominent und wiederholt Wolfgang Münchau. Siehe beispielsweise: Wolfgang Münchau, „Der Teufel ste (...)
  • 65  W. Hilz, „Getriebewechsel im europäischen Motor“ (Anm. 61), S. 28.
  • 66  Zu unterschiedlichen Analysen als Überblick: Deutsche Bundesbank, „Der deutsche Leistungsbilanzübe (...)

20Diese Jahre können als entscheidender U-Turn der deutschen Europapolitik gewertet werden. Dabei begannen sie mit erheblichen Zweifeln am Führungswillen der deutschen Kanzlerin. Sie erwarb sich aufgrund ihrer Zögerlichkeit, 2008 einem europäischen Konjunkturprogramm zuzustimmen, den Spitznamen „Madame No“60. In dieser Zeit inszeniert sich der damalige französische Präsident Sarkozy als europäischer Krisenmanager61: „Frankreich arbeitet daran, in Deutschland denkt man nach“62. Erst für die zweite Phase der Staatsschuldenkrise wird der deutsche Einfluss auf die Governance in der Eurozone in der Literatur unter dem Stichwort der „deutschen Hegemonie“ diskutiert63. Ab 2010 trieben die Bundeskanzlerin und der französische Präsident auf Basis bilateraler Absprachen die Krisenpolitik voran, wobei der Vorwurf insbesondere der angelsächsischen Presse weiterhin „too little, too late“64 lautete. Innerhalb des wiederbelebten deutsch-französischen Tandems gewann schnell Deutschland das größere Gewicht65. Die anderen Euro-Staaten hatten sich mit den Leitlinien von „Merkozy“ zu arrangieren. Aus Perspektive der Status-quo-Macht-These erklärt sich diese deutsche Dominanz mit zwei Faktoren: Erstens wollte die deutsche Bundesregierung keine Veränderungen an der Funktionsweise der Wirtschafts- und Währungsunion, was besonders die Debatte über deutsche Leistungsbilanzüberschüsse und eine mangelnde Binnennachfrage zeigt66. Zweitens war eine Lösung der Krise ohne Deutschland und seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht machbar. Entsprechend durchsetzungsstark war die Bundesregierung in den europäischen Verhandlungen.

  • 67  Tobias Kunstein, Wolfgang Wessels, „Die Europäische Union in der Währungskrise: Eckdaten und Schlü (...)
  • 68  Europäischer Rat, „Schlussfolgerungen“, 24./25. März 2011, EUCO 10/1/11, Anlage II, S. 22.
  • 69  Art. 3 Fiskalvertrag sieht vor, dass die Verpflichtung auf einen ausgeglichenen Haushalt vorzugswe (...)
  • 70  „Verordnung (EU) Nr. 407/2010 des Rates zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmec (...)
  • 71  Wolfram Cremer, „Auf dem Weg zu einer Europäischen Wirtschaftsregierung?“, Europarecht, Nr. 3 (201 (...)
  • 72  Mette Buskjær Rasmussen, „Accountability challenges in EU economic governance? Parliamentary scrut (...)
  • 73  Julian Plottka, Manuel Müller, Enhancing the EU’s democratic legitimacy. Short and Long-Term Avenu (...)

21In Bezug auf die Governance-Struktur in der Eurozone zeichnen sich die ergriffenen Krisenmaßnahmen durch eine weitere Intergouvernementalisierung aus: Die ersten Darlehen wurden Griechenland auf bilateraler Basis gewährt67, die „European Financial Stability Facility“ (EFSF) wurde als privatrechtliche Aktiengesellschaft in Luxemburg geschaffen, der „Europäische Stabilitätsmechanismus“ (ESM) ist eine „zwischenstaatliche Organisation nach dem Völkerrecht“68, auch der „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“ (Fiskalvertrag) wurde außerhalb des europäischen Primärrechts geschlossen und schreibt den Unterzeichnerstaaten vor, eine Schuldenbremse69 im nationalen Verfassungsrecht zu verankern. Aber selbst die im Rahmen des EU-Primärrechts beschlossenen Maßnahmen, wie die Verordnung des Rates zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus70, die Schaffung des Europäischen Semesters und die Beschlüsse des sog. Six- und Two-Pack zur Reform71 des Stabilitäts- und Wachstumspaktes stellen Formen der „enhanced policy coordination“72 dar. Sie stärken mit der Europäischen Kommission und den nationalen Regierungen die Exekutiven auf Kosten des Europäischen und der nationalen Parlamente73.

  • 74  Ulrike Guérot, „Von Normalität über Übermacht zur Ohnmacht? Betrachtungen zur deutschen Rolle in E (...)
  • 75  Zur Rolle der informellen Eurogruppe in der Krise siehe: „How a dining club briefly took over the (...)
  • 76  U. Guérot, „Von Normalität über Übermacht zur Ohnmacht?“ (Anm. 74), S. 19.

22Die Krise in der Eurozone zeigt im Großen, dass die „Maschinerie der EU nicht mehr funktioniert, das institutionelle Gehäuse der EU gleichsam entkernt ist“74. Die Antwort ist dieselbe wie bereits während der deutschen Ratspräsidentschaft 2007: Die Entscheidungsfindung (und zum Teil die förmlichen Beschlüsse) werden aus den formellen EU-Organen ausgelagert75. Dort wo Reformen an der Governance der Eurozone innerhalb des EU-Rechts beschlossen wurden, haben diese die nationalen Regierungen gestärkt. Merkels Unionsmethode löst die Gemeinschaftsmethode ab76.

  • 77  Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, Plenarprotokoll 17/42, 19.05.2010, S. 4126 B.
  • 78  Ebd.
  • 79  W. Hilz, „Getriebewechsel im europäischen Motor“ (Anm. 61), S. 26.

23Die Bundesregierung konnte dank ihres neuen „Leadership“ eine Austeritätspolitik durchsetzen, die deutschen Interessen entsprach. In ihrer Regierungserklärung am 19. Mai 2010 bekannte sich Merkel zwar mit den berühmten Worten „scheitert der Euro, dann scheitert Europa“77 zur Rettung der gemeinsamen Währung. Die Konditionen zu denen dies geschehen sollte machte sie jedoch ebenfalls klar: „Dazu will ich, dass wir […] gemeinsam mit unseren Partnern dafür sorgen, dass sich ganz Europa einer neuen Stabilitätskultur verschreibt, einer Stabilitätskultur die für die Konsolidierung der Staatshaushalte und für die langfristige Stabilität unserer gemeinsamen Währung sorgt“78. Entsprechend widersetzte sich die Bundesregierung dem Ansinnen des damaligen französischen Präsidenten Sarkozy, Hilfe ohne Eingriffe in die nationale Souveränität der Mitgliedstaaten zu gewähren79. Stattdessen wurde die Gewährung von Krediten an harte Reformauflagen gebunden.

  • 80  Heinz-Jürgen Axt, „Griechenland“, in: Werner Weidenfeld, Wolfgang Wessels (Hg.), Jahrbuch der Euro (...)

24Den Höhepunkt des innereuropäischen Konflikts um das Recht der kreditgebenden Länder, von den kreditnehmenden Reformen einzufordern, sollte es 2015 erst während Merkels dritter Regierungszeit geben als der griechische Premierminister Alexis Tsipras die Griech:innen in einem Referendum aufforderte, gegen die Auflagen für die Auszahlung einer weiteren Kredittranche zu stimmen. Als 61,31 Prozent der Abstimmenden seiner Aufforderung folgten, erhöhte auch die Bundesregierung den Verhandlungsdruck und drohte mit einem „Grexit“. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble lies in eine Beschlussvorlage für den folgenden Euro-Gipfel den Satz einfügen: „Falls keine Vereinbarung erzielt werden kann, sollten Griechenland rasche Verhandlungen über eine Auszeit von der Euro-Zone angeboten werden, mit möglicher Restrukturierung von Schulden“80.

  • 81  Sebastian Dullien, Ulrike Guérot, „The long shadow of Ordoliberalism: Germany’s Approach to the Eu (...)
  • 82  Hans Kundnani, „Can Germany’s Social Democrats Offer an Alternative?“, Dissent, Herbst 2013.
  • 83  Zur Frage in welchen Medien die Berichterstattung die Merkmale einer Kampagne gegen Griechenland h (...)
  • 84  Kai Oppermann, „National Role Conceptions, Domestic Constraints and the New ‘Normalcy’ in German F (...)

25Einer der Erklärungsfaktoren für das Verhalten der deutschen Bundesregierung in der Krise in der Eurozone war ein ordoliberaler Grundkonsens der deutschen wirtschaftlichen und politischen Eliten81, die sich einig waren, dass Gerhard Schröders Agenda-Politik zum wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands beigetragen habe und dieselbe wirtschaftspolitische Orthodoxie nun auf europäischer Ebene vertraten82. Allerdings erklärt dieses im Einklang mit den Thesen des Liberalen Intergouvernementalismus stehende Argument nicht allein die deutsche Position in der Krisenpolitik. Hinzutrat eine stark polarisierte öffentliche Auseinandersetzung, in der die veröffentlichte Meinung Stimmung gegen Krisenhilfen machte83, und eine parteipolitische Auseinandersetzung84.

  • 85  Entgegen der Angabe in der Quelle hatte die Regierungskoalition 330 und nicht nur 320 Stimmen, Sie (...)
  • 86  Ebd., S. 365.

26Dabei verlief die Spannungslinie während der zweiten Amtszeit Merkels nicht zwischen Regierung und Opposition, sondern innerhalb der Regierungskoalition. CSU und FDP waren die schärfsten Kritiker der Regierungspolitik, während die Kanzlerin eine Mehrheit im Parlament für die Krisenpakete nur mit Hilfe der oppositionellen SPD sichern konnte. Allein beim ersten Griechenlandpaket und der Schaffung des EFSF konnte sie sich auf die Kanzlermehrheit stützen, ab Februar 2012 war sie für alle Bundestagsbeschlüsse zur Stabilisierung des Euro auf Stimmen aus der Opposition angewiesen85 bevor sich nach der Bundestagswahl 2013 auch formell wieder eine große Koalition bildete. Höhepunkt der parteipolitischen Auseinandersetzung war im Dezember 2011 ein Mitgliederentscheid in der FDP über die Einrichtung des ESM, den die Parteispitze nur knapp gegen die innerparteilichen Gegner der Krisenpolitik gewinnen konnte86.

27Wichtig ist dabei festzuhalten, dass sich die Kritiker:innen der Krisenpolitik nicht um die Folgen der Austeritätspolitik oder das deutsche Ansehen in Europa sorgten, sondern allein um die Kosten für deutsche Steuerzahlende. Entgegen den Annahmen des Liberalen Intergouvernementalismus hatte parteipolitische Auseinandersetzung innerhalb Deutschlands starken Einfluss auf die deutsche Europapolitik. So stark, dass sie Anstoß für die Gründung der „Alternative für Deutschland“ (AfD) gab und damit langfristig das deutsche Parteiensystem verändern sollte.

5. Keine deutsche Verantwortung für Europa?

  • 87  K. Oppermann, „National Role Conceptions“ (Anm. 84), S. 513-515.

28Dies kontrastiert mit einer zweiten Debatte, die parallel geführt wurde, nämlich jener über eine stärkere globale Verantwortung Deutschlands, die in Europa aufkam, nachdem sich Deutschland 2011 den Erwartungen seiner Alliierten widersetzt und nicht am humanitären Einsatz in Libyen beteiligt hatte87. Deutschland wurde zu diesem Zeitpunkt vorgeworfen, sich mehr um seine Exporte nach China oder den Handel mit Russland zu sorgen, als um europapolitische Interessen in der Außenpolitik. Deutschland betreibe eine ökonomische Renationalisierung und mache „Reibach“, ohne die europäischen Werte zu verteidigen.

  • 88  Frank-Walter Steinmeier, „Verflechtung und Integration. Die neue Phase der Ostpolitik der EU“, Int (...)
  • 89  Zur damaligen Debatte siehe: Euractive, „Euro-Bonds: Pro und Contra zu gemeinsamen Anleihen“, 15.0 (...)
  • 90  Hans Kundnani, Jonas Parello-Plesner, „China and Germany: Why the Emerging Special Relationship Ma (...)
  • 91  Ulrike Guérot, „Germany goes global: farewell, Europe“, 14.09.2010, abrufbar unter: www.opendemocr (...)

29So kann konstatiert werden, dass sich der Fokus deutscher Außenpolitik unter Merkel von Europa gen Osten verschob. Nicht nur Eurasien wurde mit der unter der deutschen Ratspräsidentschaft 2007 lancierten „Neuen Ostpolitik“88 zum Betätigungsfeld deutscher Außenpolitik, sondern auch gegenüber China vertrat die Bundesregierung zunehmend eigene geoökonomische Interessen. Als während der Krise in der Eurozone ein beherztes deutsches Engagement in Europa von Nöten gewesen wäre, als ein deutscher Impuls für eine politische Union oder gar Eurobonds89 willkommen gewesen wäre, setzte die Bundesregierung stattdessen unter Druck der deutschen Wirtschaft auf eine aktive China-Politik. Die deutschen Exporte nach China nahmen nicht nur kontinuierlich zu, sondern China wurde angesichts der Wirtschaftskrise in Europa als deutscher Absatzmarkt von immer größerer Bedeutung90. „Germany goes global: farewell, Europe“91 war in diesen Jahren der deutsche Slogan und er hat Europa nicht gutgetan.

  • 92  Ähnlich äußerten sich die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und der damalige B (...)
  • 93  Frank-Walter Steinmeier, „Rede anlässlich der 50. Münchner Sicherheitskonferenz“, 01.02.2014, abru (...)
  • 94  Ebd.
  • 95  Annegret Bendiek, „‚Review 2014‘: Grundpfeiler deutscher Außenpolitik und weltweite Erwartungen“, (...)

30Auf diesen Vorwurf begegnete die nach der Bundestagswahl 2013 neu formierte Große Koalition in der dritten Amtszeit Merkels mithilfe des „Review 2014 – Außenpolitik Weiter Denken“ des Auswärtigen Amtes in Richtung mehr deutscher Verantwortung in der Welt. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2014 erklärte der gerade wieder ins Amt gekommene damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier92: „Deutschland muss bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen“93. „Deutschland will und wird Impulsgeber sein für eine gemeinsame europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik“94. Deutschland war also in der Lage und bereit, Kritik an seinem unilateralen Verhalten im Bereich der Außenpolitik zuzulassen und ihr mit einer Strategie zu begegnen. Der Tenor der Debatte war: „Deutschland hat aufgrund seiner gestiegenen politischen und ökonomischen Bedeutung eine sehr viel weiter reichende Verantwortung für die Bearbeitung europäischer und internationaler Krisen als noch vor zwanzig Jahren“95.

  • 96  Björn Hacker, Cédric M. Koch, The divided Eurozone. Mapping Conflicting Interests on the Reform of (...)
  • 97  Dullien/Guérot, „The long shadow of Ordoliberalism“ (Anm. 81).
  • 98  Paul Krugman, End this Depression Now!, London, 2013.
  • 99  Simone Schlosser, „‚Verkauft doch Eure Inseln, Ihr Pleitegriechen‘. Die Darstellung Griechenlands (...)
  • 100  W. Hilz, „Getriebewechsel im europäischen Motor“ (Anm. 61), S. 28.
  • 101  Bundesregierung, „Berliner Erklärung zum 50. Jahrestag des Élysée-Vertrags“, Pressemitteilung, Num (...)
  • 102  U. Guérot, „Zwanzig Jahre nach Helmut Kohl“ (Anm. 12), S. 285.
  • 103  H. Zimmermann, „Große Koalition für den Euro“ (Anm. 85), S. 366.
  • 104  Europäischer Rat, „Towards a genuine economic and monetary Union. Report by President of the Europ (...)
  • 105  Die Präsidenten der Europäischen Kommission, des Europäischen Rates, der Eurogruppe, der Europäisc (...)

31Während die dritte Bundesregierung unter Merkel bereit war, eine Überarbeitung der deutschen strategischen Kultur anzugehen, um dieser Verantwortung gerecht zu werden, war auch die dritte Regierung Merkel im europäischen Krisenmanagement nicht bereit, den Kurs zu ändern. In der Folge kam es zu einer Spaltung der EU zwischen Anhänger:innen einer Stabilitätsunion und Befürworter:innen einer Fiskalunion96. Dabei ist der Konflikt nicht nur Teil einer Debatte zwischen Ordoliberalismus97 und Keynesianismus98, sondern die aufgeheizte öffentliche Debatte in Deutschland hat bei den Bürger:innen einiger der kreditnehmenden Staaten, besonders in Griechenland, nachhaltige Spuren hinterlassen. Nicht nur hatten sie die Last der Austeritätspolitik zu tragen, sondern wurden dafür auch noch verhöhnt. In einzelnen deutschen Medien lässt sich gar eine Kampagne gegen Griechenland nachweisen99. Spätestens mit der Wahl François Hollandes, der mit der Forderung nach einer Nachverhandlung des Fiskalvertrages Wahlkampf gemacht hatte100, zeigte sich, dass die harte Haltung Deutschlands begann, den eigenen europapolitischen Spielraum einzuengen. So konnte Hollande sein Wahlkampfversprechen zwar nicht erfüllen, aber anlässlich des 50. Jahrestages des Elysée-Vertrags bekundeten die deutsche und die französische Regierung in der Berliner Erklärung, dass Deutschland und Frankreich „gemeinsame Initiativen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit bei gleichzeitiger Wahrung eines hohen Niveaus an sozialer Sicherheit“101 ergreifen wollen102. Bereits zuvor hatte die SPD im Gegenzug zur Unterstützung der Regierungspolitik die liberal-konservative Bundesregierung (Merkel II) dazu gebracht, die französische Initiative für eine Finanztransaktionssteuer zu unterstützen103. Die Bundesregierung ging erste symbolische Schritte in Richtung einer europäischen Wirtschafts- und Sozialpolitik, allerdings ohne substanzielle Reformen mitzutragen. Bereits im Dezember 2012 war der Bericht des Präsidenten des Europäischen Rates Herman Van Rompuy „Towards a Genuine Economic and Monetary Union“104 weitestgehend folgenlos verhallt. Aber auch der Bericht der fünf Präsidenten105 „Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden“ vom Juni 2015, der ebenfalls vorschlug, die Wirtschafts- und Währungsunion in eine politische Union inklusive Haushalts- und Sozialunion einzubetten, scheiterten de facto am sublimiertem Widerstand Deutschlands im Europäischen Rat.

  • 106  Otto Schmuck, „Das Weißbuch der Kommission zur Zukunft Europas – integrationspolitische Einordnung (...)
  • 107  Europäische Kommission, Weissbuch zur Zukunft Europas. Die EU der 27 im Jahr 2025 – Überlegungen (...)
  • 108  Carmen Gerstenmeyer et al., The Relaunch of Europe. Mapping Member States’ Reform Interests. Count (...)

32Dieses Verhalten, das fast an Obstruktion grenzt, zog sich fort. Die deutliche Zurückhaltung, die die deutschen Bundesregierungen bis zum Ende der Amtszeit Merkels bei allen weiteren Versuchen übten, eine Debatte über die Zukunft der EU anzustoßen, legt diese Lesart nahe. So signalisierte die dritte Regierung Merkel im Rahmen des im März 2017 von Jean-Claude Juncker angestoßenen Weißbuchprozesses zwar vorsichtige Unterstützung106 für das Szenario Nr. 3 „Wer mehr will, tut mehr“107. Nach der Bundestagswahl 2017 fand sich im neuen Koalitionsvertrag jedoch keine Aussage mehr zum Weißbuchprozess, geschweige denn eine Unterstützung von Vertragsreformen108.

  • 109  Ulrike Guérot, The Difficult Relationship between European Sovereignty and European Democracy in F (...)
  • 110  Annegret Kramp-Karrenbauer, „Europa jetzt richtig machen“, Die Welt, 10.03.2019.
  • 111  Bundesregierung, „Erklärung von Meseberg. Das Versprechen Europas für Sicherheit und Wohlstand ern (...)

33Anschließend musste der französische Präsident Emmanuel Macron, weit länger als die deutschen Koalitionsverhandlungen dauerten, auf eine Antwort zu seinen Vorschlägen zur Reform der EU109 warten, bevor er eine höfliche Absage von der damaligen CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer – nicht einmal der Bundeskanzlerin selbst – bekam: „Die Arbeit der europäischen Institutionen kann keine moralische Überlegenheit gegenüber der Zusammenarbeit der nationalen Regierungen beanspruchen. […] Es sind die Mitgliedstaaten, die ihre eigenen Interessen auf europäischer Ebene formulieren und zusammenbringen. Daraus erst entsteht das internationale Gewicht der Europäer“110. Pointierter lässt sich eine Absage an den früheren deutschen Exzeptionalismus in der Europapolitik und die bis in die 1990er Jahre geltende CDU-Programmatik kaum formulieren. In der deutsch-französischen „Erklärung von Meseberg“ im Jahr 2018 lesen sich die gemeinsamen Ziele beider Regierungen dann zwar wieder etwas anders111, eine Umsetzung der Vorschläge sollte bis zum Ende der Regierungszeit Merkels aber nicht mehr erfolgen.

  • 112  „Conference on the Future of Europe“, Franco-German non-paper on key questions and guidelines, Nov (...)
  • 113  Thomas Gutschker, „Wir brauchen den Mut zu Vertragsänderungen“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24 (...)
  • 114  Andreas Hofmann, Wolfgang Wessels, „Der Vertrag von Lissabon – eine tragfähige und abschließende A (...)

34Auch die Debatte über die Konferenz zur Zukunft Europas eröffnete das deutsche Bundeskanzleramt vorsorglich mit einem durchgestochenen Non-Paper, das einer ambitionierten Reform sogleich eine Absage erteilte112. Der Fokus sollte auf „policies“ liegen, institutionelle Reformen höchsten am Rande behandelt werden. Eine Aussage Merkels aus dem Jahr 2020, dass die Bundesregierung offen für Vertragsreformen sei, muss rückwirkend wohl eher als Versuch gewertet werden, die langsam ungeduldig werdenden föderalistischen Gemüter zu beruhigen, denn als Anzeichen für einen geplanten Kurswechsel113. Die Idee einer weiteren Vertragsreform wurde zur „third rail“ deutscher Europapolitik bis zum Ende der Amtszeit Merkels, dabei war der Vertrag von Lissabon von Anfang an keine „abschließende Antwort auf konstitutionelle Grundfragen“114, sondern neuer Reformbedarf zeigte sich schnell.

6. Deutsche Alleingänge und ihre Folgen

35Neben den bereits beschriebenen Mechanismen zur Durchsetzung deutscher Interessen und der Intergouvernementalisierung der EU weist die Europapolitik unter Merkel ein weiteres Merkmal auf: den deutschen Alleingang. Bei der erneuten Entscheidung Deutschlands zum Atomausstieg, dem Bau der Gaspipeline „Nord Stream 2“ und der Nicht-Anwendung des Dublin-Verfahrens für Asylsuchende aus Syrien im Herbst 2015 konsultierte die Bundesregierung ihre europäischen Partner vorab nicht, obwohl alle drei Entscheidungen massive Folgen für andere EU-Mitgliedstaaten hatten. Auch wenn es bis heute immer wieder anderslautende Vorwürfe gibt, so verfügte in allen drei Fällen die Bundesregierung über die formelle Kompetenz, die jeweilige Entscheidung zu treffen, dennoch haben die Entscheidungen grundlegend das Verhältnis zwischen Deutschland und den anderen Mitgliedstaaten verändert. Weil die Folgen der Entscheidung zur Aussetzung des Dublin-Verfahrens die dritte und vierte Amtszeit Merkels prägte, die größten innenpolitischen Wirkungen hatte und auch die stärksten Auswirkungen auf das europäische Integrationsprojekt, greifen wir hier dieses Beispiel heraus.

  • 115  Sandra Lavenex, The Europeanisation of Refugee Policies: Between Human Rights and Internal Securit (...)
  • 116  Ausnahmen gelten für Minderjährige, Familienangehörige und Antragsteller mit einem gültigen Aufent (...)
  • 117  Verfahrensregeln zur Aussetzung des Dublinverfahrens für syrische Staatsangehörigkeit, AZ 411 – 93 (...)
  • 118  „Österreich und Deutschland lassen Flüchtlinge einreisen“, Kleine Zeitung, 05.09.2015.
  • 119  Georg Blume et al., „Was geschah wirklich? Grenzöffnung für Flüchtlinge“, Die Zeit, 22.08.2016.
  • 120  Janne Grote, „The Changing Influx of Asylum Seekers in 2014-2016: Responses in Germany“, European (...)

36Deutschland hatte lange vom Erstlandprinzip der Dublin-Verordnung profitiert, da in Ermangelung von Schengen-Außengrenzen nahezu keine Asylbewerber:innen nach Deutschland kommen konnten115, ohne dass sie zurück in einen anderen Mitgliedstaat geschickt werden konnten, in dem sie ihren Asylantrag stellen mussten116. Angesichts der im Sommer steigenden Anzahl von nach Europa kommenden Flüchtlingen, setzte das Bundesamt für Migration am 21. August 2015 die Anwendung des Dublin-Verfahrens aus und bearbeitete deren Asylanträge in Deutschland, statt ein Zuständigkeitsfeststellungsverfahren einzuleiten, um sie in den Ersteintrittsstaat zurückzuschicken117. Als sich dann am 4. September 2015 hunderte von Flüchtlingen, die am Budapester Bahnhof Keleti festsaßen, zu Fuß auf den Weg nach Österreich und weiter nach Deutschland machten und der ungarische Ministerpräsident Victor Orbán alle Flüchtlinge, die weiterreisen wollten, per Bus an die österreichisch-ungarische Grenze bringen ließ, entschied Merkel mit Zustimmung des damaligen Außenministers Steinmeier und in Abstimmung mit dem damaligen österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann, dass „Österreich und Deutschland […] aus Ungarn kommenden Flüchtlingen die Weiterreise in ihre Länder“ erlauben118. Die Entscheidung wurde von Faymann kurz nach Mitternacht am Morgen des 5. September 2015 bekanntgegeben119. In der Folge stieg die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge im Herbst und Winter 2015/2016 weiter an120.

  • 121  Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, Plenarprotokoll 18/120, 09.09.2015, S. 11614 B.
  • 122  G. Blume et al., „Was geschah wirklich?“ (Anm. 119).

37In ihrer Regierungserklärung am 9. September 2015 legt Merkel dar, dass es einer gemeinsamen europäischen Lösung zur Verteilung der Flüchtlinge bedürfe. Die deutsche Bereitschaft Flüchtlinge aufzunehmen, sah sie als Voraussetzung für eine europäische Lösung an: „Nicht, wenn wir uns verweigern, wird es wahrscheinlich, dass wir eine europäische Lösung finden. Vielmehr wird es dann, wenn wir mutig sind und manchmal vorangehen, wahrscheinlicher, dass wir eine europäische Lösung finden“121. Dabei hatte sich das Kanzleramt bereits am 5. September eine Reihe von Absagen geholt als bei den Staats- und Regierungschefs der anderen Mitgliedstaaten sondiert wurde, welche Mitgliedstaaten ebenfalls syrische Flüchtlinge aufnehmen würden. Allein der damalige französische Präsident Hollande war bereit, als symbolische Geste 1.000 Flüchtlinge aufzunehmen. Am selben Tag kamen allein am Münchner Hauptbahnhof 6.780 Flüchtlinge an122. So richtig die Entscheidung Merkels aus humanitären Gründen war, was ihr in der deutschen und internationalen Presse auch hoch angerechnet wurde, so sehr verschlechterte es die deutsche Verhandlungsposition: Hatte Deutschland jahrelang vom Schengen-System profitiert, war nun eine europäische Lösung notwendig, um die hohen Kosten des selbst geschaffenen Status-quo zu reduzieren und dazu war Deutschland zwingend auf die Unterstützung der anderen Mitgliedstaaten angewiesen.

  • 123  „Beschluss (EU) 2015/1523 des Rates vom 14. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahme (...)
  • 124  „Beschluss (EU) 2015/1601 des Rates vom 22. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahme (...)
  • 125  Daniele Saracino, „Solidaritätsbrüche in der europäischen Asylpolitik. Warum die ‚Flüchtlingskrise (...)
  • 126  Klein/Plottka/Tittel, „Der Neustart der europäischen Integration“ (Anm. 7), S. 150.
  • 127  Ebd., S. 148-149.
  • 128  Rat der EU, „Erklärung EU-Türkei“, Pressemitteilung, 144/16, 18. März 2016.

38Dass diese nicht zu erwarten war, zeigen die ebenfalls im Herbst mit qualifizierter Mehrheit gefassten Beschlüsse des Rates Nr. 2015/1523123 und Nr. 2015/1601124 zur Umsiedlung von insgesamt 160.000 Personen, die einen Asylantrag in Griechenland und Italien gestellt hatten. Sie legten nicht nur die tiefen Gräben in der europäischen Flüchtlingspolitik offen, sondern drohten zur Krise der Rechtsgemeinschaft zu werden als Ungarn und die Slowakei erfolglos gegen die Beschlüsse klagten und die ungarische Regierung sich weigerte125, trotz des EuGH-Urteils die Rechtmäßigkeit der Beschlüsse anzuerkennen. Die Krise wurde nur dadurch vermieden, dass die EU de facto auf die Durchsetzung der Beschlüsse verzichtete. Bis Mai 2018 wurden gerade einmal 12.690 Personen aus Italien und 21.999 aus Griechenland umgesiedelt126. Die dringend notwendige Reform der Dublin-III-Verordnung und des GEAS ist seitdem blockiert127. Der Streit über die Flüchtlingsfrage wuchs sich zu einer institutionellen Krise der EU aus. Allein im Bereich des Außengrenzschutzes und der EU-Türkei-Erklärung128, die auf eine Abschottung der EU gegenüber Drittstaaten hinauslaufen, war die EU seitdem kompromissfähig.

39Die Krise im GEAS ist nicht der Entscheidung der Bundeskanzlerin von 2015 anzulasten, jedoch wäre die Solidarität, die Deutschland im Zuge der Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen und anderen EU-Staaten gezeigt hat, ein gewichtiges Pfund gewesen, mit dem Deutschland im Sinne seiner traditionellen Bereitschaft zur Übernahme von Kosten Zugeständnisse anderer Mitgliedstaaten hätte erreichen können, wenn dafür Zeit gewesen wäre. Jedoch engte sich der innenpolitische Handlungsspielraum der deutschen Bundesregierung für weitere Zugeständnisse auf EU-Ebene schnell ein. Nicht nur war die CSU von Anfang an ein innerkoalitionärer Kritiker der Asylpolitik der deutschen Bundesregierung, sondern am rechten Rand mobilisierten „zivilgesellschaftliche“ Akteure wie PEGIDA und die AfD gegen Flüchtlinge. Ihnen gelang es sukzessive, die innerdeutsche Debatte zu verschieben.

7. Schlußbetrachtung

40Man muss Merkel konzedieren, dass ihre Amtszeit über die 16 Jahre zudem von einem schwierigen geostrategischen und geoökonomischen Umfeld geprägt war. Das schwierige und sich seit Aufnahme von Beitrittsverhandlungen 2005 stets verschlechternde Verhältnis der EU mit der Türkei, die Bürgerkriege in Syrien und Libyen sind nur einige Schlagworte, um die außenpolitischen Herausforderungen vor den südlichen Toren Europas zu skizzieren, ohne dass die EU hier im Einzelnen schlagkräftig hätte handeln können. Im Osten Europas fielen in Merkels Regierungszeit sowohl der kurze Krieg in Georgien 2008 als auch der Euromaidan 2013/2014 und die anschließende Westorientierung der Ukraine auf die Russland mit der Annexion der Krim und der Initiierung des Krieges im Osten der Ukraine reagierte. Während die EU 2008 unter französischer Ratspräsidentschaft ausnahmsweise einmal in Georgien in der Lage war, einen militärischen Konflikt einzudämmen, haben die deutschen Bundesregierungen und viele andere in der EU die Bereitschaft der russischen Regierung zur Gewaltanwendung gegenüber Nachbarstaaten und ihrer Zivilbevölkerung fatal unterschätzt. Dass Bundeskanzlerin Merkel stets dafür gelobt wurde, eine der wenigen zu sein, die noch mit Putin reden könne, mag unbestritten sein. Dass sie dieses Verhältnis dafür eingesetzt hätte, Putin im Sinne europäischer Interessen in die Schranken zu weisen, lässt sich Anfang des Jahres 2022 nicht mehr überzeugend argumentieren. Hinzu kommt der energiepolitischen Alleingang Deutschlands mit Russland im Rahmen von „Nord Stream 2“, mit dem sich die Bundesregierungen nicht nur über vielfache Warnungen vor einer energiepolitischen Selbstauslieferung an Russland hinweggesetzt hat, sondern auch das Verhältnis zu Polen seit Jahren belastet hat. Im ersten Schock, den der völkerrechtswidrige Überfall Russlands auf die gesamte Ukraine ausgelöst hat, haben NATO und EU zwar ein Mindestmaß an Solidarität mit der Ukraine bewiesen, was Waffenlieferungen, Sanktionen und humanitäre Hilfe betrifft, und begonnen, den sicherheitspolitischen Schutzschirm für die NATO-Staaten zu stärken, wieweit die Solidarität mit der Ukraine und die Bereitschaft zur eigener sicherheitspolitischer Verantwortung in der EU reichen, wird sich aber erst noch zeigen müssen.

  • 129  Während der Pandemie hat die EU gar eine Rückversicherung zur Unterstützung der nationalen Arbeits (...)

41Exemplarisch konnten wir zeigen, dass sich die „Normalisierung“ deutscher Europapolitik in der Regierungszeit Merkels weiter fortgesetzt hat und diese zunehmend von Pragmatismus geprägt war. Ein Leitbild, dem Merkel in den gesamten 16 Jahren in ihrer Europapolitik gefolgt wäre, lässt sich nicht identifizieren. Selbst mit den ordoliberalen Grundsätzen, die lange das europäische Krisenmanagement prägten, hat sie durch das Wiederaufbauprogramm „Next Generation EU“ gegen Ende ihrer Amtszeit gebrochen. Wenn überhaupt, war die „Unionsmethode“ der zunehmenden Intergouvernementalisierung das Leitbild von Merkels Europapolitik. Ein überzeugenderer Erklärungsansatz scheint aber Schimmelfennigs These von der „Status-quo-Macht“ zu sein, dass die Bundesregierung auf EU-Ebene deutsche Interesse und hier zuvörderst Wirtschaftsinteressen vertreten hat. Bis zum Beginn der Corona-Pandemie waren eine aktive europäische Wirtschaftspolitik oder gar eine europäische Sozialpolitik129 eben ganz und gar nicht im Interesse der deutschen Wirtschaft. Allerdings lassen sich die europapolitischen Positionen der Bundesregierung eben nur zum Teil durch die Interessen der Wirtschaft erklären.

42Gerade in der Krise in der Eurozone und mehr noch in der Krise im GEAS ist der parteipolitische Wettbewerb von zunehmender Bedeutung für die europapolitische Positionierung der Bundesregierung. Von 2009 bis 2013 gehörten die Koalitionspartner CSU und FDP zu den schärfsten Kritikern der deutschen Krisenpolitik, für die Merkel eine Mehrheit nur mithilfe der Opposition organisieren konnte. Auch in der Asylpolitik war die CSU eine scharfe Kritikerin von Merkels Politik auf nationaler und europäischer Ebene, die parlamentarische Mehrheit war jedoch Dank der Großen Koalition nicht gefährdet. Parallel dazu etablierte sich die AfD anfangs als national-liberale euro-(pa-)kritische, über die Jahre aber zunehmend von rechtsradikalen Kräften dominierte Partei. Sie veränderte nicht nur das etablierte deutsche Parteiensystem, sondern stellt auch CDU und CSU vor eine interne Probe im Streit zwischen Unterstützer:innen der Politik Merkels und den Befürworter:innen einer Appeasement-Politik gegenüber der AfD. Der Ausgang des innerparteilichen Streites in der Opposition ist derzeit noch offen.

43Eine zunehmende Salienz und Polarisierung der Europapolitik ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Staaten zu beobachten. Die Wechselwirkung zwischen der Normalisierung deutscher Europapolitik und einem „populist turn“ in den anderen EU-Staaten konnte hier nicht im Detail beleuchtet werden. In Frankreich gewann das Rassemblement National bzw. zuvor Front National massiv an Unterstützung als die französischen Regierungen eine (deutsche) Europapolitik mittrugen, die in Frankreich mehrheitsfähigen wirtschaftspolitischen Positionen zutiefst widersprach. Welche Folgen dies für die Europapolitik haben könnte, wird sich bei den französischen Präsidentschaftswahlen im April 2022 zeigen. In Italien bildeten die rechtspopulistische Lega Nord und das ebenfalls populistische Movimente 5 Stelle von 2018 bis 2021 eine Regierungskoalition. Ob deren pro-europäische Wendung seit 2021 ein Ende der populistischen Kräfte bedeutet, wird sich erst noch zeigen müssen. In Polen wenden sich die Regierungen der Prawo i Sprawiedliwość (PiS) seit 2015 zunehmend vom Projekt einer politischen Union jenseits eines Binnenmarktes ab, was zur großen Belastung für die Rechtsgemeinschaft EU wird. Diese wenigen Beispiele aus einigen der größten EU-Mitgliedstaaten zeigen, dass der „populist turn“ auch die Kompromissfindung auf europäischer Ebene zunehmend erschwert. Diese Wechselwirkungen zwischen deutscher Europapolitik und den europapolitischen Positionen der Bürger:innen und Regierungen anderer Mitgliedstaaten bedürfen in den kommenden Jahren noch eingehender Analysen. Vorläufig kann jedoch bereits das Zwischenfazit gewagt werden, dass Merkels europapolitischer Pragmatismus und die Fokussierung auf kurzfristige deutsche Interessen der EU schwer geschadet und den Handlungsspielraum der Bundesregierung in der Europapolitik zunehmend begrenzt hat.

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Notes

1  Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, Plenarprotokoll 16/4, 30.11.2005, S. 87 A-B.

2  Wilhelm Knelangen, „Eine neue deutsche Europapolitik für eine andere EU?“, Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 38-29 (2005), S. 24ff.

3  Frank Schimmelfennig, „Deutschland in der Europäischen Union: Hegemonie, Intergouvernementalismus, Status-quo-Macht“, in: Katrin Böttger, Mathias Jopp (Hg.), Handbuch zur deutschen Europapolitik, Baden-Baden, 2021 (2. Aufl.), S. 561ff., hier: S. 564.

4  So produzierte die nordrheinwestfälische CDU für den Europawahlkampf 2019 unter dem Titel „Wir sind die deutsche Europa-Partei – Und Du bist Europa“ einen Werbespot, der in 2 Minuten und 44 Sekunden neben der Aufzählung von Errungenschaften der EU genau eine auf die Zukunft gerichtete politische Forderung enthält – den Ausbau des europäischen Verkehrswegenetzes. Siehe: CDUNRW TV, „Wir sind die Europa-Partei – Und Du bist Europa“, 04.05.2019, abrufbar unter: youtu.be/J0ailUzQycE (letzter Zugriff: 19.02.2022).

5  Daniel Göler, Mathias Jopp, „Deutschlands konstitutionelle Europapolitik“, in: Böttger/Jopp (Hg.), Handbuch zur deutschen Europapolitik (Anm. 3), S. 55ff.

6  Ebd., S. 67-69.

7  Julia Klein, Julian Plottka, Amelie Tittel, „Der Neustart der europäischen Integration durch eine inklusive Avantgarde?“, integration, Nr. 2 (2018), S. 141ff., hier: S. 147-155.

8  Während die Ursachen der Eurosklerose damals hauptsächlich wirtschaftlicher Natur waren, ist der heutige Reformstau in der EU politikfeldübergreifend. Zum Begriff der Eurosklerose ursprünglich: Herbert Giersch, „Eurosclerosis“, Institut für Weltwirtschaft (IfW), Kieler Diskussionsbeiträge, Nr. 112 (1985).

9  Weitere Gründe sind zweifelsohne grundlegend andere Rahmenbedingungen, unter denen am Beginn der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts Reformen in einer EU der 27 Mitgliedstaaten zu beschließen sind.

10  Stefan Kornelius, „Deutschland und die Euro-Krise. Hegemon wider Willen“, Süddeutsche Zeitung, 28.11.2010; Christoph Schönberger, „Hegemon wider Willen. Zur Stellung Deutschlands in der Europäischen Union“, Merkur, Nr. 752 (2012), S. 1ff.; Simon Bulmer, William E. Paterson, „Germany as the EU’s reluctant hegemon? Of economic strength and political constraints“, Journal of European Policy, Nr. 20 (2013), S. 1387ff.; William E. Paterson, „The Reluctant Hegemon? Germany Moves Centre Stage in the European Union“, Journal of Common Market Studies, Nr. S1 (2011), S. 57ff.; Erhard Crome, „Deutschland in Europa. Eine neue Hegemoniedebatte“, Zeitschrift für internationale Politik, WeltTrends, Nr. 86 (2012), S. 59ff.; Hans Kundnani, „Was für ein Hegemon? Berlins Politik führt zu keinem deutschen, sondern einem chaotischen Europa“, Internationale Politik, Nr. 3 (2012), S. 21ff.; Hans Kundnani, The Paradox of German Power, London, 2015; Joachim Schild, „The myth of German hegemony in the euro area revisited“, West European Politics, Nr. 5 (2020), S. 1072ff.

11  „Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zur Eröffnung des 61. akademischen Jahres des Europakollegs Brügge am 2. November 2010 in Brügge“, Bulletin der Bundesregierung, Nr. 111-1 vom 2. November 2010.

12  Obgleich die französischen und südeuropäischen Reaktionen auf die deutsche Dominanz vor allem in der Krise in der Eurozone zu hartnäckigen Verstimmungen im deutsch-französischen Tandem geführt haben. Siehe: Ulrike Guérot, „Zwanzig Jahre nach Helmut Kohl: Wo stehen die deutsch-französischen Beziehungen?“, Konrad Adenauer Stiftung, Historisch-Politische Mitteilungen, Nr. 20 (2013), S. 73ff.

13  Radosław Sikorski, zitiert nach: Thomas Paulsen, „Keine Angst vor Deutschland“, Neue Zürcher Zeitung, 27.12.2012.

14  F. Schimmelfennig, „Deutschland in der Europäischen Union“ (Anm. 3), S. 561ff.

15  Adrian Hyde-Price, Charlie Jeffery, „Germany in the European Union: Constructing Normality“, Journal of Common Market Studies, Nr. 4 (2001), S. 689ff.

16  F. Schimmelfennig, „Deutschland in der Europäischen Union“ (Anm. 3), S. 561ff.

17  Wendler charakterisiert diesen anhand von fünf Merkmalen: (1) eine große Bereitschaft zur Abgabe nationaler Souveränität an die supranationale Ebene; (2) eine an föderalen Leitbildern orientierte Identität; (3) eine Tendenz, europäische Integrationsschritte „idealistisch“ zu begründen; (4) eine große Bereitschaft durch finanzielle Zahlungen, Integrationsfortschritt zu erleichtern; (5) eine „reflexhafte, geradezu übertrieben anmutende Ausrichtung an multilateraler Problemlösung“. Siehe: Frank Wendler, „Pragmatismus, Führung und langsam erodierender Konsens: Eine Bilanz der Europapolitik der Großen Koalition“, in: Christoph Egle, Reimut Zohlnhöfer (Hg.), Die zweite Große Koalition. Eine Bilanz der Regierung Merkel 2005-2009, Wiesbaden, 2010, S. 530ff., hier: S. 532.

18  Daniel Göler, Mathias Jopp, „Deutschlands konstitutionelle Europapolitik: Auswirkungen veränderter innen- und außenpolitischer Rahmenbedingungen“, in: Thomas Jäger, Alexander Höse, Kai Oppermann (Hg.), Deutsche Außenpolitik. Sicherheit, Wohlfahrt, Institutionen und Normen, Wiesbaden, 2007, S. 462ff.; Gesa-Stefanie Brincker, Mathias Jopp, Lenka Anna Rovná (Hg.), Leitbilder for the Future of the European Union, Baden-Baden, 2011; Roland Hierzinger, Johannes Pollack (Hg.), Europäische Leitbilder. Festschrift für Heinrich Schneider, Baden-Baden, 2001; Barbara Lippert, Otto Schmuck, „Europapolitische Leitbilder: Wissenschaftliche Glasperlenspiele oder notwendiger Kompaß?“, integration, Nr. 1 (1990), S. 35ff.; Heinrich Schneider, Leitbilder der Europapolitik, 1: Der Weg zur Integration, Bonn, 1977.

19  Leitbilder werden dabei zugleich als Zielvorstellungen eines wünschenswerten, künftigen Zustands europäischer Integration, als „Wahrnehmungs- und Deutungsmuster“ der Gegenwart und als legitimatorische Argumente verstanden. Siehe: Martin Große Hüttmann, „Leitbilder deutscher Europapolitik“, in: Böttger/Jopp (Hg.), Handbuch zur deutschen Europapolitik (Anm. 3), S. 31ff., hier: S. 35; Barbara Lippert, „Ohne Leitbild? Perspektiven deutscher Europapolitik“, in: Barbara Lippert, Günther Maihold (Hg.), Krisenlandschaft und die Ordnung der Welt. Im Blick von Wissenschaft und Politik, Berlin, Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Studie 18, September 2020, S. 57ff., hier: S. 58.

20  Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, Plenarprotokoll 11/228, 04.10.1990, S. 18020 A.

21  Ulrike Kessler, „Deutsche Europapolitik unter Helmut Kohl: Europäische Integration als ‚kategorischer Imperativ‘?“, in: Gisela Müller-Brandeck-Bocquet (Hg.), Deutsche Europapolitik. Von Adenauer bis Merkel, Wiesbaden, 2021 (3. Aufl.), S. 113-168.

22  „Eröffnungsrede des 61. Akademischen Jahres des Europakollegs Brügge“ (Anm. 11).

23  F. Schimmelfennig, „Deutschland in der Europäischen Union“ (Anm. 3), S. 561ff.

24  Andrew Moravcsik, Frank Schimmelfennig, „Liberal Intergouvernmentalism“, in: Antje Wiener, Tanja A. Börzel, Thomas Risse, European Integration Theory, London, 2019 (3. Aufl.), S. 64ff.

25  F. Schimmelfennig, „Deutschland in der Europäischen Union“ (Anm. 3), S. 567.

26  Ebd.

27  Andrew Moravcsik, „Preferences, Power and Institutions in 21st-Century Europe“, Journal of Common Market Studies, Nr. 7 (2018), S. 1648ff., hier: S. 1652.

28  Liesbet Hooghe, Gary Marks, „A Postfunctionalist Theory of European Integration: From Permissive Consensus to Constraining Dissensus“, British Journal of Political Science, Nr. 1 (2009), S. 1ff.

29  A. Moravcsik, „Preferences, Power and Institutions“ (Anm. 27), S. 1652.

30  A. Moravcsik, „Preferences and Power in the European Community: A Liberal Intergouvernmentalist Approach“, Journal of Common Market Studies, Nr. 4 (1993), S. 473ff., hier: S. 483.

31  Ebd.

32  A. Moravcsik, „Preferences, Power and Institutions“ (Anm. 27), S. 1652.

33  Zur Politisierung nicht-ökonomischer Themen siehe: Swen Hutter, Argyrios Altiparmakis, Guillem Vidal, „Diverging Europe: The Political Consequences of the Crisis in a Comparative Perspective“, in: Swen Hutter, Hanspeter Kriesi (Hg.), European party politics in times of crisis, Cambridge, 2019, S. 329ff., hier: S. 330-337.

34  Thomas Risse, „Introduction“, in: ders. (Hg.), European Public Spheres. Politics is back, Cambridge, 2014, S. 1ff., hier: S. 2.

35  Edgar Grande, Hanspeter Kriesi, „Die Eurokrise: Ein Quantensprung in der Politisierung des europäischen Integrationsprozesses?“, Politische Vierteljahresschrift, Nr. 3 (2015), S. 479ff., hier: S. 483.

36  Ebd., S. 502.

37  Hooghe/Marks, „A Postfunctionalist Theory of European Integration“ (Anm. 28), S. 21-22.

38  Robert D. Putnam, „Diplomacy and Domestic Politics: The Logic of Two-Level Games“, International Organization, Nr. 3 (1988), S. 417ff., hier: S. 442-448.

39  Edgar Grande, Hanspeter Kriesi, „The restructuring of political conflict in Europe and the politicization of European integration“, in: T. Risse (Hg.), European Public Spheres (Anm. 34), S. 190ff., hier: S. 222.

40  Swen Hutter, Hanspeter Kriesi, „Politicising immigration in times of crisis“, Journal of Ethnic and Migration Studies, Nr. 2 (2022), S. 341ff.

41  Göler/Jopp, „Deutschlands konstitutionelle Europapolitik“ (Anm. 5), S. 55ff., hier: S. 67.

42  Wolf J. Schünemann, In Vielfalt verneint. Referenden in und über Europa von Maastricht bis Brexit, Wiesbaden, 2017, S. 96-101.

43  Ebd., S. 106-113.

44  Andreas Maurer, Daniela Schwarzer, „Alle Karten auf den Tisch! Ansätze zur Überwindung der konstitutionellen Malaise in der EU“, Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Aktuell, Nr. 28 (Juni 2006).

45  Ebd., S. 2.

46  Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, Plenarprotokoll 16/4, 30.11.2005, S. 88 D.

47  Gisela Müller-Brandeck-Bocquet, „Deutsche Europapolitik in der Ära Angela Merkel 2005-2021: Enge Gestaltungsspielräume in Krisenzeiten“, in: dies. (Hg.), Deutsche Europapolitik (Anm. 21), S. 258ff., hier: S. 261-262.

48  Gisela Müller-Brandeck-Bocquet, „Frankreich: zurück in Europa, aber mit welchem Kurs?“, Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 38 (2007), S. 11ff., hier: S. 15-16.

49  Joachim Schild, „Pariser Pragmatismus – Französische EU-Vertragsreformpolitik von Amsterdam bis Lissabon“, in: Olaf Leiße (Hg.), Die Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon, Wiesbaden, 2010, S. 23ff., hier: S. 38-39.

50  Die nach dem niederländischen Referendum neu ins Amt gekommene Regierung der Niederlande positionierte sich in ihrem Koalitionsvertrag ähnlich. Siehe: Andreas Maurer, „Verhandlungen zum Reformvertrag unter deutschem Vorsitz“, Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 43 (2007), S. 3ff., hier: S. 4.

51  Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, Plenarprotokoll 11/228, 04.10.1990, S. 18020 A.

52  Maurer und Kietz nennen hier Zugeständnisse an Polen bei den Verhandlungen mit Russland über ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen sowie an Frankreich bei WTO-Verhandlungen. Siehe: Daniela Kietz, Andreas Maurer, „Bilanz und Zukunft der Präsidentschaft im System des Rates der Europäischen Union“, integration, Nr. 1 (2008), S. 21ff., hier: S. 28.

53  Göler/Jopp, „Deutschlands konstitutionelle Europapolitik“ (Anm. 5), S. 68.

54  Kietz/Maurer, „Bilanz und Zukunft der Präsidentschaft“ (Anm. 52), S. 28-29.

55  Andreas Maurer, „Verhandlungen zum Reformvertrag unter deutschem Vorsitz“, Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 43 (2007), S. 3ff., hier: S. 6.

56  Ebd., S. 6-7.

57  G. Müller-Brandeck-Bocquet, „Deutsche Europapolitik in der Ära Angela Merkel“ (Anm. 47), S. 264-265.

58  A. Maurer, „Verhandlungen zum Reformvertrag unter deutschem Vorsitz“ (Anm. 55), S. 8.

59  André Schmidt, „Die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 – die erste Bewährungsprobe für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion“, integration, Nr. 4 (2009), S. 388ff.

60  Markus Feldenkirchen et al., „Madame No“, Der Spiegel, 30.11.2008.

61  Wolfram Hilz, „Getriebewechsel im europäischen Motor: Von ‚Mercozy‘ zu ‚Merkollande‘?“, Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 1-3 (2012), S. 23ff., hier: S. 26.

62  Nicolas Sarkozy, zitiert nach: M. Feldenkirchen et al., „Madame No“ (Anm. 60).

63  Für eine umfassende ökonomische Analyse, wie sehr Deutschland an Binnenmarkt und Euro-Krise „verdient“ hat, sich dennoch als Zahlmeister Europas wahrnahm und einen politischen Diskurs gegen eine „Transferunion“ oder „Haftungsgemeinschaft“ lancierte siehe: Siegfried Schieder, „Zwischen Führungsanspruch und Wirklichkeit: Deutschlands Rolle in der Eurozone“, Leviathan, Nr. 3 (2014), S. 363ff.; H. Kundnani, The Paradox of German Power (Anm. 10); Wolfgang Streek, Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus, Berlin, 2022 (4. Aufl.); Wolfgang Streek, „Warum der Euro Europa spaltet statt es zu einigen“, Leviathan, Nr. 3 (2015), S. 365ff.

64  Prominent und wiederholt Wolfgang Münchau. Siehe beispielsweise: Wolfgang Münchau, „Der Teufel steckt im Kleingedruckten“, Der Spiegel, 04.07.2012.

65  W. Hilz, „Getriebewechsel im europäischen Motor“ (Anm. 61), S. 28.

66  Zu unterschiedlichen Analysen als Überblick: Deutsche Bundesbank, „Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss aus der Sicht makroökonomischer Modelle“, Monatsbericht, Juli 2020, Nr. 19.

67  Tobias Kunstein, Wolfgang Wessels, „Die Europäische Union in der Währungskrise: Eckdaten und Schlüsselentscheidungen“, integration, Nr. 4 (2011), S. 308ff., hier: S. 309.

68  Europäischer Rat, „Schlussfolgerungen“, 24./25. März 2011, EUCO 10/1/11, Anlage II, S. 22.

69  Art. 3 Fiskalvertrag sieht vor, dass die Verpflichtung auf einen ausgeglichenen Haushalt vorzugsweise im nationalen Recht mit Verfassungsrang kodifiziert werden soll.

70  „Verordnung (EU) Nr. 407/2010 des Rates zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus“, Amtsblatt der Europäischen Union, 12.05.2010, Nr. L 118, S. 1ff.

71  Wolfram Cremer, „Auf dem Weg zu einer Europäischen Wirtschaftsregierung?“, Europarecht, Nr. 3 (2016), S. 256ff.

72  Mette Buskjær Rasmussen, „Accountability challenges in EU economic governance? Parliamentary scrutiny of the European Semester“, Journal of European Integration, Nr. 3 (2018), S. 341ff.

73  Julian Plottka, Manuel Müller, Enhancing the EU’s democratic legitimacy. Short and Long-Term Avenues to Reinforce Parliamentary and Participative Democracy at the EU Level, Friedrich-Ebert-Stiftung, Democracy and Human Rights, Bonn, 2020, S. 17-19.

74  Ulrike Guérot, „Von Normalität über Übermacht zur Ohnmacht? Betrachtungen zur deutschen Rolle in Europa“, Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 52 (2015), S. 17ff., hier: S. 19.

75  Zur Rolle der informellen Eurogruppe in der Krise siehe: „How a dining club briefly took over the EU. What next for the Eurogroup?“, The Economist, 18.06.2020.

76  U. Guérot, „Von Normalität über Übermacht zur Ohnmacht?“ (Anm. 74), S. 19.

77  Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, Plenarprotokoll 17/42, 19.05.2010, S. 4126 B.

78  Ebd.

79  W. Hilz, „Getriebewechsel im europäischen Motor“ (Anm. 61), S. 26.

80  Heinz-Jürgen Axt, „Griechenland“, in: Werner Weidenfeld, Wolfgang Wessels (Hg.), Jahrbuch der Europäischen Integration 2015, Baden-Baden, 2015, S. 427ff., hier: S. 431.

81  Sebastian Dullien, Ulrike Guérot, „The long shadow of Ordoliberalism: Germany’s Approach to the Euro Crisis“, European Council on Foreign Relations, Policy Brief, Nr. 49 (Februar 2012).

82  Hans Kundnani, „Can Germany’s Social Democrats Offer an Alternative?“, Dissent, Herbst 2013.

83  Zur Frage in welchen Medien die Berichterstattung die Merkmale einer Kampagne gegen Griechenland hatte siehe: H. Kundnani, „Can Germany’s Social Democrats Offer an Alternative?“ (Anm. 82).

84  Kai Oppermann, „National Role Conceptions, Domestic Constraints and the New ‘Normalcy’ in German Foreign Policy: the Eurozone Crisis, Libya and Beyond“, German Politics, Nr. 4 (2012), S. 502ff.

85  Entgegen der Angabe in der Quelle hatte die Regierungskoalition 330 und nicht nur 320 Stimmen, Siehe: Hubert Zimmermann, „Große Koalition für den Euro. Die zweite Merkel-Regierung und die Schuldenkrise in der Eurozone“, in: Reimut Zohlnhöfer, Thomas Saalfeld (Hg.), Politik im Schatten der Krise. Eine Bilanz der Regierung Merkel 2009-2013, Wiesbaden, 2015, S. 353ff., hier: S. 362.

86  Ebd., S. 365.

87  K. Oppermann, „National Role Conceptions“ (Anm. 84), S. 513-515.

88  Frank-Walter Steinmeier, „Verflechtung und Integration. Die neue Phase der Ostpolitik der EU“, Internationale Politik, Nr. 3 (2007), S. 6-11.

89  Zur damaligen Debatte siehe: Euractive, „Euro-Bonds: Pro und Contra zu gemeinsamen Anleihen“, 15.08.2011, abrufbar unter: www.euractiv.de/section/finanzen-und-wirtschaft/news/euro-bonds-pro-und-contra-zu-gemeinsamen-anleihen/ (letzter Zugriff: 19.02.2022).

90  Hans Kundnani, Jonas Parello-Plesner, „China and Germany: Why the Emerging Special Relationship Matters for Europe“, European Council on Foreign Relations, ECFR Policy Brief, Nr. 55 (2012).

91  Ulrike Guérot, „Germany goes global: farewell, Europe“, 14.09.2010, abrufbar unter: www.opendemocracy.net/en/germany-goes-global-farewell-europe/ (letzter Zugriff: 19.02.2022).

92  Ähnlich äußerten sich die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und der damalige Bundespräsident Joachim Gauck bei der Münchener Sicherheitskonferenz 2014.

93  Frank-Walter Steinmeier, „Rede anlässlich der 50. Münchner Sicherheitskonferenz“, 01.02.2014, abrufbar unter: www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/140201-bm-muesiko/259554 (letzter Zugriff: 19.02.2022).

94  Ebd.

95  Annegret Bendiek, „‚Review 2014‘: Grundpfeiler deutscher Außenpolitik und weltweite Erwartungen“, Stiftung Wissenschaft und Politik, Arbeitspapier Forschungsgruppe EU/Europa, Nr. 3 (Mai 2015), S. 2.

96  Björn Hacker, Cédric M. Koch, The divided Eurozone. Mapping Conflicting Interests on the Reform of the Monetary Union, Friedrich-Ebert-Stiftung, Politik für Europa #2017 plus, Brüssel, 2017.

97  Dullien/Guérot, „The long shadow of Ordoliberalism“ (Anm. 81).

98  Paul Krugman, End this Depression Now!, London, 2013.

99  Simone Schlosser, „‚Verkauft doch Eure Inseln, Ihr Pleitegriechen‘. Die Darstellung Griechenlands in ausgewählten Medien während der Euro-Krise und ihr Einfluss auf die Meinungen der deutschen Öffentlichkeit“, Lehrstuhl Internationale Politik Universität zu Köln, Arbeitspapiere zur Internationalen Politik und Außenpolitik, Nr. 4 (2013).

100  W. Hilz, „Getriebewechsel im europäischen Motor“ (Anm. 61), S. 28.

101  Bundesregierung, „Berliner Erklärung zum 50. Jahrestag des Élysée-Vertrags“, Pressemitteilung, Nummer 23/13, 22.01.2013, Ziff. 5.

102  U. Guérot, „Zwanzig Jahre nach Helmut Kohl“ (Anm. 12), S. 285.

103  H. Zimmermann, „Große Koalition für den Euro“ (Anm. 85), S. 366.

104  Europäischer Rat, „Towards a genuine economic and monetary Union. Report by President of the European Council Herman Van Rompuy“, EUCO, 120/12.

105  Die Präsidenten der Europäischen Kommission, des Europäischen Rates, der Eurogruppe, der Europäischen Zentralbank und des Europäischen Parlaments. Siehe: Jean-Claude Juncker et al., Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden, Brüssel, 2015.

106  Otto Schmuck, „Das Weißbuch der Kommission zur Zukunft Europas – integrationspolitische Einordnung und Reaktionen“, integration, Nr. 4 (2017), S. 276ff., hier: S. 286.

107  Europäische Kommission, Weissbuch zur Zukunft Europas. Die EU der 27 im Jahr 2025 – Überlegungen und Szenarien, COM(2017) 2025, S. 20-21.

108  Carmen Gerstenmeyer et al., The Relaunch of Europe. Mapping Member States’ Reform Interests. Country Issue: Germany, Institut für Europäische Politik/Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin, 2018, S. 5.

109  Ulrike Guérot, The Difficult Relationship between European Sovereignty and European Democracy in Franco-German Discourse, Institute of European Democrats, IED Strategic Research Paper, Brüssel, November 2021.

110  Annegret Kramp-Karrenbauer, „Europa jetzt richtig machen“, Die Welt, 10.03.2019.

111  Bundesregierung, „Erklärung von Meseberg. Das Versprechen Europas für Sicherheit und Wohlstand erneuern“, Pressemitteilung, Nummer 214, 19.06.2018.

112  „Conference on the Future of Europe“, Franco-German non-paper on key questions and guidelines, November 2019, abrufbar unter: www.politico.eu/wp-content/uploads/2019/11/Conference-on-the-Future-of-Europe.pdf (letzter Zugriff: 19.02.2022).

113  Thomas Gutschker, „Wir brauchen den Mut zu Vertragsänderungen“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.05.2020.

114  Andreas Hofmann, Wolfgang Wessels, „Der Vertrag von Lissabon – eine tragfähige und abschließende Antwort auf konstitutionelle Grundfragen?“, integration, Nr. 1 (2008), S. 3ff.

115  Sandra Lavenex, The Europeanisation of Refugee Policies: Between Human Rights and Internal Security, Farnham, 2002.

116  Ausnahmen gelten für Minderjährige, Familienangehörige und Antragsteller mit einem gültigen Aufenthaltstitel oder Visum. Siehe: Artt. 8 bis 12; Artt. 13 bis 15 „Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung)“, in: Amtsblatt der EU, 29.06.2013, Nr. L 180, S. 31ff.

117  Verfahrensregeln zur Aussetzung des Dublinverfahrens für syrische Staatsangehörigkeit, AZ 411 – 93605/Syrien/2015, Nürnberg 21.08.2015, abrufbar unter: media.frag-den-staat.de/files/foi/34282/bfmf-schreiben-wegen-dublinverfahren-bei-syrern_geschwaerzt.pdf (letzter Zugriff: 19.02.2022).

118  „Österreich und Deutschland lassen Flüchtlinge einreisen“, Kleine Zeitung, 05.09.2015.

119  Georg Blume et al., „Was geschah wirklich? Grenzöffnung für Flüchtlinge“, Die Zeit, 22.08.2016.

120  Janne Grote, „The Changing Influx of Asylum Seekers in 2014-2016: Responses in Germany“, European Migration Network, Working Paper, Nr. 79, Nürnberg, 2018, S. 16.

121  Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, Plenarprotokoll 18/120, 09.09.2015, S. 11614 B.

122  G. Blume et al., „Was geschah wirklich?“ (Anm. 119).

123  „Beschluss (EU) 2015/1523 des Rates vom 14. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland“, in: Amtsblatt der EU, 15.09.2015, Nr. L 239, S. 146ff.

124  „Beschluss (EU) 2015/1601 des Rates vom 22. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland“ , in: Amtsblatt der EU, 24.09.2015, Nr. L 248, S. 80ff.

125  Daniele Saracino, „Solidaritätsbrüche in der europäischen Asylpolitik. Warum die ‚Flüchtlingskrise‘ in Wirklichkeit eine Solidaritätskrise ist“, Zeitschrift für Politik, Nr. 3 (2018), S. 283ff., hier: S. 289.

126  Klein/Plottka/Tittel, „Der Neustart der europäischen Integration“ (Anm. 7), S. 150.

127  Ebd., S. 148-149.

128  Rat der EU, „Erklärung EU-Türkei“, Pressemitteilung, 144/16, 18. März 2016.

129  Während der Pandemie hat die EU gar eine Rückversicherung zur Unterstützung der nationalen Arbeitslosenversicherungen geschaffen. Siehe: „Verordnung (EU) 2020/672 des Rates vom 19. Mai 2020 zur Schaffung eines Europäischen Instruments zur vorübergehenden Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in einer Notlage (SURE) im Anschluss an den COVID-19-Ausbruch“, in: Amtsblatt der EU, 20.05.2020, Nr. L 159, S. 1ff.

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Pour citer cet article

Référence papier

Ulrike Guérot et Julian Plottka, « Merkels Europapolitik oder der Preis des Pragmatismus »Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande, 54-1 | 2022, 131-151.

Référence électronique

Ulrike Guérot et Julian Plottka, « Merkels Europapolitik oder der Preis des Pragmatismus »Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande [En ligne], 54-1 | 2022, mis en ligne le 20 juillet 2023, consulté le 20 mai 2025. URL : http://journals.openedition.org/allemagne/3059 ; DOI : https://doi.org/10.4000/allemagne.3059

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Auteurs

Ulrike Guérot

Professor Dr., Lehrstuhl für Europapolitik, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Julian Plottka

Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Europapolitik, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, und Jean-Monnet-Lehrstuhl für Europäische Politik, Universität Passau

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