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Comptes rendus

Giorgos Papantoniou, Christine Morris, Athanasios Vionis (Hrsg.), Unlocking sacred landscapes: spatial analysis of ritual and cult in the Mediterranean, Studies in Mediterranean archaeology 151

Stephan G. Schmid
p. 556-562
Référence(s) :

Giorgos Papantoniou, Christine Morris, Athanasios Vionis (Hrsg.), Unlocking sacred landscapes: spatial analysis of ritual and cult in the Mediterranean, Studies in Mediterranean archaeology 151. Åström Editions, Nicosia, 2019. xviii + 279 Seiten, zahlreiche Abbildungen im Text – ISBN 9789925745548.

Texte intégral

1Der anzuzeigende Band geht auf einen im Frühjahr 2015 in Dublin durchgeführten Workshop zurück, wobei sich die Genese des Bandes noch etwas länger hinzog. Er stellt, wie im Vorwort (v) ausgeführt wird, den ersten Teil einer mindestens dreiteiligen Reihe zu verwandten Themen aus dem Bereich der vom in Dublin gegründeten Unlocking Sacred Landscapes (UnSaLa) – Netzwerk unternommenen Forschungen dar. Wie im Vorwort und in der Einführung (G. Papantoniou, E. Morris, A. K. Vionis, ix‑xviii) erläutert, ist der Band in drei größere Teile gegliedert: der erste Teil beschäftigt sich mit religiös konnotierten Landschaften, soziopolitischen Einheiten und sozioökonomischen Netzwerken und umfasst sechs Beiträge. Diese erstrecken sich über eine relativ große geographische und chronologische Bandbreite, was im Einklang steht mit dem anvisierten – etwas stark von archäologischem Neusprech geprägten – Ziel, „to ‘unlock’ sacred landscapes and religion by locating them within their social context and their own longue durée, having no constraint and in using all possible methods in order to achieve the best possible holistic approach“ (x). Im zweiten Teil befassen sich drei Beiträge mit dem Erfahren von religiös konnotierten Landschaften, wobei neben der räumlichen und zeitlichen Erfahrung auch alle menschlichen Sinne berücksichtigt werden. Die sechs Beiträge des dritten Teiles schließlich gruppieren sich um die Begriffe Objekte, Agency und religiöser Raum.

2So weitreichend die Ansprüche des Bandes sind, so vielfältig und unterschiedlich sind die einzelnen Beiträge, denen in dieser kurzen Besprechung unmöglich allen die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt werden kann, die sie durchaus verdient hätten. Die folgenden Ausführungen verstehen sich denn auch bestenfalls als selektiv, mit einer gewissen (aber nicht ausschließlichen) Fokussierung auf Beiträge mit kyprischen Themen.

  • 1 Das gilt natürlich auch umgekehrt, aber die historische Realität zeigt, dass es letztlich die an de (...)

3In seinem substantiellen Kapitel (Unlocking Sacred Landscapes: the applicability of a GIS approach to the territorial formation of the Cypro-Archaic and Cypro-Classical polities, 3-26) setzt sich G. Papantoniou mit der spannenden Frage der Territorialität der kyprischen Kleinkönigtümer der archaischen und klassischen Zeit auseinander. In bewährter, da schon in mehreren früheren Beiträgen praktizierter, Manier zeigt P., wie sich die Kombination von verschiedenen GIS-basierten Analysemethoden – hier vor allem viewshed, least cost path und least cost corridor – mit längst etablierten ikonographischen und stilistischen Betrachtungen gewinnbringend umsetzen lassen. Daraus resultiert unter anderem die schlüssige Beobachtung, dass eine ganze Reihe von Heiligtümern, die relativ weit von den jeweiligen Zentralorten entfernt liegen, im weitesten Sinne zur Strukturierung des Territoriums genutzt wurden. Dies kann im Sinne von eigentlichen Grenzheiligtümern (der deutsche Begriff ist nicht unbedingt ganz glücklich, aber dennoch verständlich) geschehen, aber auch von solchen, welche beispielsweise wichtige Wegeverbindungen begleiten und markieren. Gerade im Bezug auf Wegeverbindungen findet sich einer der innovativsten Aspekte des Kapitels: durch least cost path und least cost corridor Analysen kann P. nachweisen, dass die sinnvollste Verbindung von Salamis nach Tamassos nicht etwa die zweidimensional kürzeste, sondern jene ist, welche ungefähr dem Verlauf des Pediaios folgend, von Salamis ausgehend zunächst nach Ledra führt und dort eine scharfe Biegung Richtung Süden auf Tamassos zu vollzieht (12, Abb. 4a). Kombiniert unter anderem mit historischen Informationen, zeichnet sich eine überzeugende Erklärung für die ständig neu zu verhandelnden Bemühungen der Küstenzentren Salamis und Kition ab, Zugang zu den kupferführenden Regionen am Fuße des Troodosgebierges zu erhalten.1 Während sich Salamis via Ledra einen privilegierten Zugang zu Tamassos sichern konnte, erreichte Kition mit der Eroberung von Idalion das gleiche Ziel. Gleichzeitig legen die historischen Ereignisse – die temporäre Einverleibung auch von Tamassos durch Kition – sowie die Dichte der Heiligtümer in der Mesaoria-Ebene zwischen Salamis und Idalion (und Kition) nahe, dass es sich hierbei eben nicht um starre Situationen, sondern um dynamische Prozesse handelte. Für künftige Studien scheint daher auch eine chronologisch feinere Analyse der Votive in den Heiligtümern eine vielversprechende Angelegenheit, um zu prüfen, ob sich die erschlossenen soziopolitischen und ökonomischen Veränderungen irgendwie niederschlagen. Ebenfalls ein Aspekt, den man künftig im Auge behalten sollte, ist die Frage, ob gerade die weit von den urbanen Zentren entfernten kyprischen Heiligtümer nicht zumindest teilweise mit Agglomerationen nachgeordneter Größe und Bedeutung (Dörfern) assoziiert waren, von denen wir im archäologischen Befund nach wie vor nur sehr wenige kennen. Ob dies der Realität oder vielleicht doch der Forschungsgeschichte geschuldet ist, kann möglicherweise indirekt über eine systematische Betrachtung funerärer Kontexte erschlossen werden.

  • 2 Nicht nur liegt der Kultplatz am Kreuzungspunkt wichtiger Wege, er verfügte auch über wichtige Wass (...)

4Das Verhältnis von dörflichen und städtischen Strukturen und entfernten Heiligtümern steht auch im Zentrum der Betrachtungen von T. van Loon und T. de Haas (A contextual approach to non-urban sanctuaries: a micro-regional study of the cult place of Laghetto del Monsignore [Lazio, Italy], 27-45). Wie in mehreren anderen Beiträgen wird auch hier zunächst darauf hingewiesen, was man alles dekonstruiert, bevor man (vermeintlich) Neues konstruiert. Im konkreten Fall ist dies die präsumtive Abhängigkeit der Heiligtümer von Agglomerationen in sogenannten core – periphery Modellen (27). Tatsächlich ist der Kultplatz von Laghetto del Monsignore ein interessanter Fall, lässt sich seine erste Nutzung doch einige Jahrzehnte vor der Gründung der später dominierenden Siedlung von Satricum, lediglich vier Kilometer SSO (31 fälschlicherweise als SW angegeben) vom Heiligtum gelegen, in der frühen Eisenzeit nachweisen. Die Betrachtung von Fundverteilung und Kontextualisierung des Heiligtums in seinem regionalen Umfeld ergibt einige interessante Beobachtungen. Deren Aussagekraft ist allerdings etwas eingeschränkt, denn die miteinander verglichenen Zeitabschnitte (frühe Eisenzeit, ca. 950‑825 v. Chr. ; späte Eisenzeit und orientalisierende Epoche, ca. 825‑580 v. Chr. ; archaische Epoche, ca. 580‑500 v. Chr. ; nach-archaische Epoche, ca. 500-350 v. Chr.) schwanken zwischen 80 und 250 Jahren, werden aber nicht entsprechend differenziert behandelt. Dennoch zeichnet sich ab, dass das Heiligtum einen starken Bezug zu Wegeverbindungen zwischen dem bergigen Hinterland und der Küstenebene hat. Der vorgeschlagene Zusammenhang mit den regionalen Transhumansbewegungen von Menschen und vor allem Tieren ist ein interessanter Ansatz,2 der möglicherweise durch die Funde von Webutensilien (35) eine Bestätigung findet. Schafe und Ziegen wurden in erster Linie für drei Wirtschaftszweige gehalten: Fleisch­produktion, Milch- und Käseherstellung und als Lieferanten für textile Grundmaterialien, von denen sich eigentlich nur letztere dauerhaft im archäologischen Befund spiegeln, eben indirekt in Form von Webutensilien.

  • 3 Wobei im Falle von Tremithus und Chytroi eigentlich nur die (potentielle) Funktion als Bischofssitz (...)

5Ein deutliches core – periphery Modell zeichnet hingegen die Betrachtung spätantiker (christlicher) Kultplätze auf Zypern durch N. Kyriakou (The sacred landscapes of Cyprus in Late Antiquity: cityscapes and peripheries in context, 47‑66). Denn die frühesten Kirchenbauten Zyperns finden sich, in Form von basilikalen Anlagen, ab dem 4. Jh. n. Chr. in den Städten, von wo aus sie ab dem 5. Jh. zunehmend in nicht-urbane Zonen ausgreifen. Forschungsgeschichtlich ist die kontextualisierte und landschaftsarchäologische Analyse der frühen Kirchenbauten Zyperns noch nicht so weit fortgeschritten, wie das bei den eisenzeitlichen Heiligtümern der Fall ist, der Beitrag leistet somit in gewisser Hinsicht Pionierarbeit (50). Interessant, gerade auch im Vergleich mit dem Kapitel von G. Papantoniou, ist der Umstand, dass wohl auch in der frühchristlichen Epoche Sakralbauten zur Markierung von landwirtschaftlichen Zonen und Wegeverbindungen dienten (57), was zur Vermutung führt, wonach die Kirche in die Kontrolle von Landwirtschaft und Wegenetzwerken eingebunden war, letzteres wohl nicht zuletzt im Zusammenhang mit Pilgerreisen. Durch solche könnte sich auch eine Orientierung einzelner Kirchenbauten auf das Meer hin erklären. In anderen Regionen um das Mittelmeer wurde die territoriale Gliederung in Bistümer bereits gewinnbringend zur Untersuchung älterer territorialer Einheiten eingesetzt. Auf Zypern scheint dies bis anhin noch nicht praktiziert worden zu sein, man kommt aber nicht umhin, gewisse – vielleicht auch nur zufällige – Übereinstimmungen zwischen Anzahl und Verteilung der – je nach Zeitscheibe und Quelle – zwischen acht bis 15 eisenzeitlichen Kleinkönigtümern und den 12 Bistümern der frühchristlichen Zeit festzustellen. Es würde sich möglicherweise lohnen, diesen Übereinstimmungen nachzugehen, wobei es natürlich die römische und hellenistische Zeit miteinzubeziehen gälte, ebenso wie Überlegungen zum Aufkommen neuer Zentralorte (z.B. Tremithus, Chytroi),3 wie zum Verschwinden vorheriger (Idalion).

  • 4 Die Feststellung, wonach diese in der Regel im wichtigsten Dorf angesiedelt ist, scheint nicht auf (...)

6In einigen Teilen eine Fortsetzung des vorherigen stellt der Beitrag von A. K. Vionis dar (The spatiality of the Byzantine/Medieval rural church: landscape parallels from the Aegean and Cyprus, 67-83), der mittels GIS-basierter Analysen die Konstruktion und das Funktionieren des religiösen Raumes der beiden Untersuchungslandschaften vergleicht. In Kombination mit der Architektur und der Ikonographie der Kirchen kann V. auch verschiedene Funktionen als Gemeinde-, Friedhofs- oder ‘Territoriums’-Kirchen wahrscheinlich machen. Was die Architektur angeht, könnte man sich zusätzlich noch überlegen, ob die offenbar ausschließlich im Troodosgebirge auftretenden einschiffigen Kirchenbauten mit steilen Satteldächern aus Holz (72-73, Abb. 6) vielleicht den meteorologischen Bedingungen (und dem vorhandenen Baumaterial) angepasst waren: steile Satteldächer sind bekanntlich weitaus besser geeignet, größere Schneemassen und -Lasten auszuhalten, als andere Dachformen. Die Fallstudie von Siedlungen und Kirchenbauten im Karkotis-Tal (76‑79) kann schön aufzeigen, wie sich jeweils zwei bis vier Dörfer zu einer Art Funktions- und Glaubensgemeinschaft zusammenschließen, mit einer gemeinsam genutzten Kirche.4

7Zum Variantenreichtum des Bandes gehören auch unterschiedliche Bearbeitungsstände der einzelnen Forschungsthemen und -Gebiete. Dies schlägt sich im Beitrag von S. Turner und J. Crow (Unlocking sacred space on early medieval Naxos: digital approaches to an historic landscape, 85-97) durch eine vorwiegend deskriptive Darstellung der zum Einsatz gekommenen Methoden und den potentiellen Ergebnissen nieder, während letztere konkret noch nicht groß in Erscheinung treten.

  • 5 Für entsprechende Ansätze im Bereich minoischer Siedlungen und Kulträume s. K. Müller, Ein altpalas (...)

8Die Kapitel von L. Goodison (Journeys with death: spatial analysis of the Mesara-type tombs of prehistoric Crete, 121-138) einerseits, sowie von A. A. D. Peatfield und Ch. Morris (Space, place and performance on the Minoan peak sanctuary of Atsipiadhes Korakias, Crete, 189-200) andererseits finden sich zwar in unterschiedlichen Abteilungen des Bandes, haben aber – neben der geographischen Komponente – eine methodische Verbindung: in beiden Fällen wird von einer beabsichtigten Ausrichtung der funerären bzw. sakralen Anlagen auf den Sonnenlauf, bevorzugt Auf- oder Untergang und bevorzugt zur Sommer- und Wintersonnenwende ausgegangen, was natürlich weitreichenden kulturanthropologischen Interpretationen den Weg bereitet. Sowohl für die Mesara-Gräber wie auch für die Höhenheiligtümer Kretas ist diese Vermutung nicht neu, man hätte daher, den Ansprüchen des vorliegenden Bandes entsprechend, eine grundlegende Prüfung dieser Hypothese vermutet. Immerhin liegen zwischen zwei und dreitausend Jahren zwischen den suggestiven Sonnenuntergang-Aufnahmen der beiden Beiträge und der Nutzungszeit der antiken Anlagen und somit mögliche Verschiebungen der Erdachse, Veränderungen der Laufbahnen von Himmelskörpern usw., die es gegebenenfalls zu berücksichtigen gilt. Nach einer eingehenden Prüfung dieser Komponenten könnten die Resultate umso mehr Gültigkeit beanspruchen.5 Bis dahin könnte man auch versuchen, mittels einer GIS-generierten Kostenoberfläche, viewshed und least cost path Analysen die Heiligtümer und Gräber im Verhältnis zu den Siedlungen zu kontextualisieren.

  • 6 Wobei die Grenze zur Esoterik zumindest angeschnitten wird, so 139: „In a nutshell, I want to stres (...)
  • 7 Und selbst das Vorhandensein von Rasiermessern bei weiblichen Bestattungen müsste sorgfältig auf di (...)

9Eine im wahrsten Sinne des Wortes sinnliche Herangehensweise an das Thema des phöniko-punischen Umgangs mit verstorbenen Mitmenschen pflegt M. López-Betran (Sensing the death among the Phoenicians and the Punics [900-200 BC], 139-153), wobei es zu bedauern ist, dass Zypern nicht in die untersuchten Regionen aufgenommen wurde. Vereinfacht formuliert wird geprüft, wie Vorbereitungen und Durchführungen von primären und sekundären funerärbezogenen Handlungen und Riten die menschlichen Sinne ansprechen konnten.6 Eine sinnliche Komponente ist in zahlreichen Fällen sicher gegeben (olfaktorische Erfahrungen, musikalische Begleitung etc.) und lässt sich archäologisch auch nachweisen, muss aber auch jeweils auf Belastbarkeit geprüft werden. So ist die Vermutung, dass Rasiermesser im Grabzusammenhang auf eine rituelle Kopfha­arscherung der Verstorbenen deuten könnten (145‑146) zwar attraktiv, benötigt aber unbedingt einer eingehenden Prüfung. Es müsste beispielsweise statistisch nachgewiesen werden, dass Rasiermesser auch in einer größeren Anzahl gesicherter Frauengräber auftreten, bevor man von der traditionellen Deutung als männliches Statussymbol (das sich vom Vorderen Orient bis in die Keltiké findet) abkommen wollen würde.7 Viele der angeführten Elemente scheinen durchaus vielversprechend, bleiben in der vorliegenden Präsentation aber notgedrungen etwas oberflächlich und auch nicht notwendigerweise auf Funeräraspekte beschränkt.

  • 8 Man kommt nicht umhin, zunächst einmal nur rein assoziativ, an die deutlich späteren Darstellungen (...)
  • 9 Dazu s. z.B. B. S. Arbuckle, The Rise of Cattle Cultures in Bronze Age Anatolia. Journal of Eastern (...)

10Der Beitrag von J. M. Webb (Socio-spatial discontinuities in burial ritual in prehistoric Bronze Age Cyprus, 171-188) betreibt einerseits eine kleinteilige Analyse verschiedener Grabbeigaben und ihrer sozialen Bedeutung in den Nekropolen von Bellapais-Vounous und Lapithos an der Nordküste Zyperns, andererseits einen regionalen und inselweiten Vergleich der Resultate in der frühen und mittleren Bronzezeit (EC und MC). Für beide Zeitabschnitte kann festgehalten werden, dass die wichtigen Fundplätze an der schmalen, Kleinasien gegenüberliegenden Nordküste Zyperns eine Sonderstellung einnehmen. Die dort in großer Zahl festgestellten aufwändigen Grabbeigaben finden sich nicht, oder nur in numerisch und qualitativ deutlich geringerer Ausprägung, in anderen Regionen der Insel. W. schließt daraus überzeugend auf regionale Differenzierungen und eine gewisse Suprematie der nördlichen Orte in den Fernhandelsnetzwerken der jeweiligen Epochen. Zu den spektakulären Funden der Nekropolen von Vounous gehören große und aufwändig mit Ritz- und appliziertem Dekor versehene Gefäße, die zumindest teilweise als Trinkgefäße gedeutet werden können (Abb. 2). Besonders erwähnenswert sind dabei die häufig auftretenden Protomen von gehörnten Boviden sowie die auf einem Gefäß vorkommenden Ritzzeichnungen von offenbar aufrecht gehenden (?) Vierfüßern mit deutlich sichtbaren Hörnern oder Geweihen, welche von W. als Mischwesen oder als als Tiere verkleidete Menschen gedeutet werden (173).8 Eine Besonderheit stellt eine felsgehauene Grabfassade von Karmi-Palealona Grab 6 dar, welche drei langrechteckige Strukturen zeigt, die oben von Dreiecken bekrönt sind (Abb. 4 rechts). Je nachdem, in welche Richtung man die Dreiecke ‘liest’, können sie als schematische Bovidenköpfe gedeutet werden (175). Dies wäre natürlich wiederum eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit der Darstellung von dreiteiligen und Boviden- bzw. Capridenkopf-bekrönten Heiligtumsfassaden von Terrakottamodellen der mittleren Bronzezeit (Abb. 10b). Die charakteristische Fundgruppe der Nekropole von Lapithos sind die sogenannten Brettidole, welche an keinem anderen Ort der Insel in annähernd so großer Anzahl vorkommen. Ihr zum Teil mehrfaches Auftreten in einzelnen Gräbern sowie die Vergesellschaftung mit (Edel-)Metallfunden und Importen unterstreicht den hohen sozialen und ökonomischen Status der Bestatteten. W. kann weiter zeigen, dass es in einigen Gräbern von Lapithos offenbar zu postmortalen Umlagerungen von Objekten und Skelettteilen kam, was sie, ebenso wie das Auftreten von Tierknochen (nota bene viele Boviden), als Anzeichen für Ahnenkulte wertet. Besonders hervorzuheben sind zwei Gips- bzw. Steinidole (178‑181, Abb. 9), offenbar auf den Eingang von Grab 322D ausgerichtet, welche unweigerlich Assoziationen mit deutlich späteren westsemitischen Kultmalen, durchaus auch im Funerärzusammenhang, aufkommen lassen. W. schließt durchaus vorsichtig, dass sich von den Fundorten an der Nordküste Zyperns ausgehend eine Kosmologie über die Insel verbreitete, in welcher Boviden (und Capriden) sowie weibliche Figuren eine wichtige Rolle spielten. Weiterführend wird man sich fragen müssen, in wie weit dieser Impetus in der kyprischen longue durée anhielt und auch, ob es Zusammenhänge mit verwandten kultischen und funerären Aspekten in Anatolien gibt.9

  • 10 Was der Autorin wohl durchaus bewusst ist, leitet sie ihre Schlussfolgerungen doch ein mit „Despite (...)

11In gewisser Hinsicht eine ähnliche Fragestel­lung verfolgt der Beitrag von C. Alexandrou (Late Cypriot female figurines: from intra- to inter-site investigation of their function and life-cycle, 201-218). Sie geht den in der sog. Base-Ring Technik hergestellten weiblichen Terrakotta-Figuren der LC II bis IIIA-Zeit nach. Im Gegensatz zu den Brettidolen der MC-Epoche finden sich die späteren Figurinen über nahezu die ganze Insel verteilt (Abb. 3) und dies sowohl in häuslichen, funerären und kultischen Kontexten. Besteht man auf aussagekräftigen Fundkontexten bleibt allerdings eine recht überschaubare Zahl übrig. Durch eine detaillierte Kontextanalyse versucht A. den ‘Lebenszyklen’ der Objekte auf die Spur zu kommen, inklusive allfälliger Aspekte des ‘Nachlebens’, denn wie es scheint, wurden bevorzugt die Köpfe der Terrakotten nach der teilweisen Zerstörung weiter gehandhabt, was als mögliche Kontinuität einer gewissen Fokussierung auf Schädel aus älteren Zeitabschnitten gedeutet wird (215). Um solche und ähnlich weitreichende Schlussfolgerungen zu tätigen (215), muss unbedingt die Datengrundlage vergrößert und verbessert werden,10 sonst bleibt notgedrungen vieles spekulativ.

  • 11 Für Zypern beispielsweise sehr dogmatisch formuliert bei A. B. Knapp, The Archaeology of Cyprus. Fr (...)

12Der letzte Abschnitt des Bandes stammt von A. Erlich (On figurines and identity: an inter-site study of terracotta figurines from Idumaea [south Israel] in the Persian period, 257-270). Sie untersucht drei Befunde von jeweils größeren Gruppen von figürlichen Terrakotten, welche an drei Orten des Gebietes von Idumaea zum Vorschein kamen, in Tel Ṣippor, Maresha und Tel Halif. Die ‘road map’ des Beitrages ist von der Frage vorgegeben, ob bzw. wie die nach übereinstimmenden Quellen aus dem edomitischen Bergland via den Negev nach Idumaea eingewanderten Personengruppen eine ethnische Identität herausbildeten und darstellten. Damit sind wir auch schon beim Kernproblem angelangt, nämlich der schon lange, intensiv und divergierend diskutierten Frage, ob sich der Begriff der ethnischen Identität auf die Antike anwenden lässt und ob er sich gegebenenfalls in der materiellen Kultur abzeichnet. Es scheint klug, zunächst von Identitätssystemen zu sprechen, ohne diese gleich mit einer ethnischen Komponente zu verbinden. Nun kann man durchaus versuchen, (kulturellen) Identitäten mit der Analyse materieller Kultur auf den Grund zu gehen, wobei sich in aller Regel zeigen dürfte, dass sich die Menschen eines bestimmten geographischen Raumes verschiedenen und unterschiedlichen Gruppenidentitäten zugehörig fühlen konnten, je nach Situation und Umfeld. Gerade bei Objekten, denen keine sprachliche Komponente inhärent ist (wie dies z.B. bei Inschriften der Fall wäre), ist in vielen Fällen keine konkrete Aussage zur Gruppenzugehörigkeit der nutzenden Personen möglich. In der Keramikforschung hat diese Unmöglichkeit zum Mantra pots don´t equal people geführt.11 Nun kann man durchaus versuchen, über diese Aporie hinauszugehen, man benötigt dafür aber eine breite Basis, sprich möglichst viele Aspekte verschiedener Bereiche materieller Kultur, gepaart mit Schriftzeugnissen und naturwissenschaftlichen Methoden, kurzum, der auch in diesem Buch häufig gepriesene holistic approach. Der Beitrag von E. kann diesen Ansprüchen nicht gerecht werden, was nicht notwendigerweise in der Verantwortung der Autorin liegt, sondern in erster Linie an der mangelnden Aussagekraft der Befunde. Die Untersuchung der drei Befunde ergibt, dass in Maresha vorwiegend als idumäisch verstandene Terrakottatypen vorkommen, wohingegen das in Küstennähe befindliche Tel Ṣippor vermehrt und Tel Halif bis zu einem gewissen Grad größere Diversität zeigen. Basierend auf diesen ohne Statistiken oder Graphiken vorgetragenen Einschätzungen weitergehende Schlüsse ziehen zu wollen, scheint mir unverantwortlich.

13Hier nicht besprochen wurden vier hochinteressante Beiträge, was keinesfalls aus Geringschätzung geschah: L. Nixon, The early Ottoman sacred landscape of Khania, Crete, 99-117 ; V. Manolopoulou, Processing time and space in Byzantine Constantinople, 155-167 ; J. Tabolli, Walking through the sacred funerary landscape of Narce again, 219-236 ; G. Papasavvas, Sacred space and ritual behaviour in Early Iron Age Crete: the case of the sanctuary of Hermes and Aphrodite at Syme, 237-256.

14Der Band erhebt hohe Ansprüche, denen er in den meisten Fällen auch gerecht wird. Angesichts der positiven und stimulierenden Gesamtidee, sowie der damit einhergehenden einzelnen Beiträge, ist eine manchmal feststellbare Redundanz hinsichtlich der Vorteile neuer Methoden (lies: GIS-basierter Analysen) und der Betonung der Beschränktheit eher traditioneller Herangehensweisen der Geistes-/Altertumswissenschaften (z.B. xiv „… the narowness of ‘culture-historical’ approaches“) überflüssig. Auch muss man realistischerweise festhalten, dass sowohl im Jahr des der Publikation zugrundeliegenden Worshops (2015) und schon gar nicht im Jahr der Publikation (2019), GIS-basierte Forschung ein Novum in den Geisteswissenschaften darstellte. Diese ist mittlerweile zu einem – durchaus wichtigen und wohl in manchen Bereichen und auf lange Jahre hinaus dominierenden – Bestandteil des Methodenmixes geworden, mit dem sich unsere Fragestellungen erfolgreich bearbeiten lassen, so wie das ja auch in mehreren Beiträgen demonstriert wird, in denen sich die ikonographische Analyse von Votiven in kyprischen Heiligtümern der Eisenzeit oder von Ikonen in byzantinischen Kirchen hervorragend mit den Vorteilen einer GIS-basierten Kostenoberfläche verbinden.

  • 12 Zum Beispiel ix: „The manifestation of the ‘sacred’ seems, for example, to have played a pivotal ro (...)
  • 13 Dazu einiges bei E. Krikona, Theseus and the Tyrannicides in the Persian Wars: Hero-Cult as a Linki (...)

15Jenseits aller methodischen Aspekte haben die Herausgeber*in unter dem Strich bereits in der Einleitung die richtige Spur vorgegeben, wonach die verschiedenen Ausdrucksformen von Religiösem in zahlreichen Fällen eng mit sozialer und politischer Macht verbunden sind – und umgekehrt.12 Daran hat sich bis in die Gegenwart eigentlich nicht viel geändert. In der Antike äußerte sich dieser Zusammenhang unter anderem in der gerne praktizierten Zerstörung oder Entführung der Götterbilder der unterlegenen Partei durch die siegreiche. So betrachtet ist die Entführung der Tyrannenmörder durch Xerxes, sowie das Vor- und Nachspiel dieses neuen Kultes in Athen ein Musterstück der politischen und sozialen Identitäts- und Raumbildung sowie der Opposition dagegen mittels kultischer Aspekte.13

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Notes

1 Das gilt natürlich auch umgekehrt, aber die historische Realität zeigt, dass es letztlich die an der Küste liegenden Zentren waren, welche sich durchsetzen konnten und Zugriff auf die inländischen Ressourcen erhielten und nicht die inländischen Zentren wie Tamassos oder Idalion, welche sich Zugriff auf Häfen verschaffen konnten.

2 Nicht nur liegt der Kultplatz am Kreuzungspunkt wichtiger Wege, er verfügte auch über wichtige Wasservorkommen, was für das Verweilen von größeren Tierherden natürlich einen wichtigen Aspekt darstellt. Auch leuchtet es ein, dass durchreisende Tierherden nicht in Siedlungen, sondern in einer gewissen Distanz davon Halt machen.

3 Wobei im Falle von Tremithus und Chytroi eigentlich nur die (potentielle) Funktion als Bischofssitz neu wäre, nicht aber die generelle Bedeutungsgröße, gehören doch beide Regionen zu denen, welche in der Eisenzeit eine hohe Dichte an Heiligtümern aufweisen, die zum Teil (Arsos, Athienou) als frühchristliche Kultorte wieder in Erscheinung treten ; vgl. Abb. 12 Liste 1.

4 Die Feststellung, wonach diese in der Regel im wichtigsten Dorf angesiedelt ist, scheint nicht auf den südlichsten Dorfcluster zwischen Katydata und Flasou zuzutreffen, denn dort liegt die Kirche deutlich außerhalb aller Siedlungen ganz im Süden. Möglicherweise markiert diese (auch) eine Art Gebietsgrenze zur Küstenebene hin, ähnlich der Funktion der ganz oben im Tal gelegenen Kirchen Richtung Gebirge.

5 Für entsprechende Ansätze im Bereich minoischer Siedlungen und Kulträume s. K. Müller, Ein altpalastzeitlicher Raumkomplex im Palast von Malia. Formen der rituellen Nutzung und Inszenierung eines möglichen Pfeilerraum Vorläufers. Von Kreta nach Kuba. Gedenkschrift zu Ehren des Berliner Archäologen Veit Stürmer. Berlin, 2018, 137‑162 ; K. Müller, Das rituelle Wege-Konzept im minoischen Gournia. D. Kurapkat, P. I. Schneider, U. Wulf-Rheidt (Hrsg.), Die Architektur des Weges. Gestaltete Bewegung im gebauten Raum. Internationales Kolloquium in Berlin vom 8.-11. Februar 2012. Stuttgart, 2014, 86-101 ; vgl. auch K. Müller, Methodische Zugänge zu ‘Kulträumen’ der minoischen Palastzeit. Eine exemplarische Analyse gebauter ritueller Räume in archäologischem Befund und bildlichen Darstellungen. Berlin, im Druck.

6 Wobei die Grenze zur Esoterik zumindest angeschnitten wird, so 139: „In a nutshell, I want to stress how the processes of the transformation of corpses are sensorial experiences for the dead and the living alike.“ (Kursivsetzung durch Rez.).

7 Und selbst das Vorhandensein von Rasiermessern bei weiblichen Bestattungen müsste sorgfältig auf die Bedeutung geprüft werden, ähnlich wie bei der Strigilis, welche durchaus in weiblichen Gräbern vorkommt, könnte es sich um Statussymbole im weitesten Sinne handeln ; zu Strigileis in Frauengräbern s.u.a. F. Colivicchi, Lo specchio e lo strigile. Scambio di simboli e scambio fra i sessi. F. H. Massa-Pairault (Hrsg.), L’image antique et son interprétation. Rom, 2006, 277-300 ; F. H. Massa-Pairault, Strigiles féminins et idéologie funéraire (ive-iiie siècles av. n.è.). Nikephoros 4, 1991, 197‑209.

8 Man kommt nicht umhin, zunächst einmal nur rein assoziativ, an die deutlich späteren Darstellungen von kyprischen Priestern mit Tiermasken zu denken ; dazu und in einem weiteren Rahmen zu rituellen Masken s. E. W. Averett, Playing the Part. Masks and Ritual Performances in Rural Sanctuaries in Iron Age Cyprus. A. Berlejung, J. E. Filitz (Hrsg.), The Physicality of the Other. Masks from the Ancient Near East and the Eastern Mediterranean. Tübingen, 2018, 305-337 ; E. W. Averett, Masks and Ritual Performance in the Island of Cyprus. AJA 119, 2015, 3-45, beide mit weiterführender Lit., darunter mehrere Beiträge von A. Hermary zu den maskentragenden Priestern.

9 Dazu s. z.B. B. S. Arbuckle, The Rise of Cattle Cultures in Bronze Age Anatolia. Journal of Eastern Mediterranean Archaeology & Heritage Studies 2, 2014, 277‑297.

10 Was der Autorin wohl durchaus bewusst ist, leitet sie ihre Schlussfolgerungen doch ein mit „Despite the limitations of the available data …“ (215).

11 Für Zypern beispielsweise sehr dogmatisch formuliert bei A. B. Knapp, The Archaeology of Cyprus. From Earliest Prehistory through the Bronze Age. Cambridge, 2013, 267.

12 Zum Beispiel ix: „The manifestation of the ‘sacred’ seems, for example, to have played a pivotal role in the expression of power and ideology …“ ; x: „One of the primary functions of religion, therefore, is to act as a major (if not the main in most cases) source of social power …“.

13 Dazu einiges bei E. Krikona, Theseus and the Tyrannicides in the Persian Wars: Hero-Cult as a Linking Means between Military Might and Constitution in the Early-Fifth-Century BCE Athens. J. J. Pomer Monferrer, J. Redondo (Hrsg.), Pietat, prodigi i mitificació a la tradició literària occidental. Amsterdam, 2019, 101‑133.

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Pour citer cet article

Référence papier

Stephan G. Schmid, « Giorgos Papantoniou, Christine Morris, Athanasios Vionis (Hrsg.), Unlocking sacred landscapes: spatial analysis of ritual and cult in the Mediterranean, Studies in Mediterranean archaeology 151 »Cahiers du Centre d’Études Chypriotes, 50 | 2020, 556-562.

Référence électronique

Stephan G. Schmid, « Giorgos Papantoniou, Christine Morris, Athanasios Vionis (Hrsg.), Unlocking sacred landscapes: spatial analysis of ritual and cult in the Mediterranean, Studies in Mediterranean archaeology 151 »Cahiers du Centre d’Études Chypriotes [En ligne], 50 | 2020, mis en ligne le 01 mai 2022, consulté le 16 mai 2025. URL : http://journals.openedition.org/cchyp/542 ; DOI : https://doi.org/10.4000/cchyp.542

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Stephan G. Schmid

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